Makro Research mit Dr. Ulrich Kater | Leben mit einem schwächeren US-Dollar
Abwarten und Beobachten, so lautet die Devise nicht nur für die US-Notenbank Fed, die im Juni abermals ihren Leitzins unverändert ließ – sehr zum Verdruss von US-Präsident Trump. Abgewartet wird auch bis zum 9. Juli, an dem die Verschiebung der Anfang April verkündeten massiven „reziproken" US-Zölle ausläuft. Überdies wird auf weitere Datenveröffentlichungen gewartet, um zu sehen, ob die US-Handelspolitik mit ihren Zollerhöhungen zu signifikant höheren Inflationsraten und zu schwächerer wirtschaftlicher Aktivität geführt hat. In diesem Abwarten sehen wir zur Jahresmitte keine Notwendigkeit unser makroökonomisches Bild gravierend zu ändern.
Vor dem Hintergrund der vielfältigen Unwägbarkeiten, Krisen und Probleme kann man durchaus über die Kapitalmarktergebnisse für das abgelaufene erste Halbjahr staunen: Viele Aktienindizes haben seit Jahresbeginn erkennbar zugelegt, und dies nach zwei herausragend guten Börsenjahren. Allerdings machten es die Perspektiven auf eine weiter steigende Staatsverschuldung in den USA und in Europa den Rentenmärkten nicht leicht. Etwas höhere Anleiherenditen sind als neues Normal an den Märkten bereits eingepreist worden. Die heftige Kritik von US-Präsident Trump an der US-Notenbank und die hieraus resultierenden Sorgen um deren Unabhängigkeit führten zusätzlich zu höheren US-Renditeniveaus. Für Euroland-Anleger belastete dagegen die abrupte und deutliche Abwertung des US-Dollars gegenüber dem Euro die Wertentwicklung ihrer globalen in US-Dollar denominierten Aktien- und Rentenanlagen.
Angesichts der anhaltend hohen Unsicherheit empfiehlt sich weiterhin eine breite Streuung im eigenen Portfolio. Das Gros der Euroaufwertung gegenüber dem US-Dollar dürfte nun hinter uns liegen, und damit auch die hieraus resultierenden währungsbedingten Belastungen für europäische Anleger. So lässt es sich also weiter mit einem schwächeren US-Dollar leben.
Konjunktur Industrieländer
Deutschland
Die deutsche Volkswirtschaft startete mit viel Rückenwind aus dem März ins zweite Quartal. Damals hatte die deutsche Industrie von vorgezogenen Käufen der US-Importeure zur Vermeidung höherer Zölle profitiert. Danach gingen die Konjunkturindikatoren spürbar zurück. Zusätzlich zeigte sich der Einzelhandel recht schwach, sodass die „harten" Konjunkturindikatoren derzeit das Risiko einer schwächeren Konjunktur im zweiten Quartal signalisieren. Doch das ist noch ein frühes Bild, denn zahlreiche Indikatoren werden erst noch veröffentlicht. Die Umfrageindikatoren zeichnen dagegen das Bild einer Belebung der Konjunktur auf Sicht von sechs Monaten. Der Zeitraum davor könnte angesichts der aktuellen und der drohenden Zollbelastungen allerdings schwierig werden.
Euroland
Nach der unerwartet guten wirtschaftlichen Entwicklung im ersten Quartal 2025 mit einem Wachstum von 0,6 % im Vergleich zum Vorquartal, sind die europäischen Frühindikatoren derzeit nur bedingt hilfreich für die Wachstumsprognose für das zweite Quartal 2025. Denn das erste Quartal war durch deutliche Vorzieheffekte im Zusammenhang mit der US-Zollpolitik nach oben verzerrt. Ob bereits im zweiten Quartal die negative Gegenbewegung erfolgt, können die üblichen Frühindikatoren nicht anzeigen. Die Inflationsrate im Euroraum lag im Juni auf dem EZB-Zielwert von 2,0 %. Dies kam vor allem durch einen deutlichen Rückgang der Energiepreise um 2,7 %. Die Dienstleistungspreise haben um mehr als 3 % zugelegt, und bei unverarbeiteten Lebensmitteln lag die Preissteigerung sogar bei mehr als 4,5 %.
Prognoserevision: Abwärtsrevision der Inflationsprognose.
USA
Die preislichen Zolleffekte lassen weiterhin auf sich warten. Die bereits für Juni vorliegenden Zolleinnahmen des Staates sind allerdings inzwischen sehr stark angestiegen. Dies bedeutet, dass bislang entweder die Exporteure oder die importierenden Unternehmen die zusätzliche Steuerlast tragen. Wir gehen davon aus, dass diese Belastung über die Sommermonate an die privaten Haushalte weitergereicht werden und hierdurch die Inflation ansteigen wird. Durch die Wirkungsverzögerung verschiebt sich auch in der Prognose der Zeitraum der konjunkturellen Schwäche. Diese terminieren wir nun für die zweite Jahreshälfte 2025. Durch die Verzögerung hat die Wahrscheinlichkeit einer Schockwirkung inklusive einer Rezession abgenommen.
Prognoserevision: Abwärtsrevision des Bruttoinlandsprodukts 2025, Abwärtsrevision der Inflationsprognose 2025 und Aufwärtsrevision 2026.
Märkte Industrieländer
Europäische Zentralbank / Geldmarkt
Im Anschluss an ihre Sitzung vom 5. Juni gaben zahlreiche Mitglieder des EZB-Rats zu verstehen, dass sie die Normalisierung der Geldpolitik als weitgehend abgeschlossen ansehen. Dem liegen die Einschätzungen zugrunde, dass erstens die derzeitige Ausrichtung nicht mehr restriktiv ist und zweitens das Inflationsziel nur vorübergehend unterschritten wird. Einige Mitglieder des Taubenlagers halten dem entgegen, dass die EZB unter Risikogesichtspunkten eine hohe Bereitschaft beibehalten sollte, auf schwache Konjunktur- oder Inflationsdaten zu reagieren. Sofern der Zollstreit mit den USA über die Sommermonate nicht beigelegt wird, rechnen wir daher bei der Ratssitzung im September mit einer letzten Senkung des Einlagesatzes auf 1,75 %. Eine darüber hinausgehende Lockerung bis in den eindeutig expansiven Bereich würden wir nur dann erwarten, falls sich ein länger anhaltendes Unterschreiten des Inflationsziels abzeichnete. Dies würde unseres Erachtens jedoch eine Verschlechterung am Arbeitsmarkt und einen deutlich geringeren Anstieg der Löhne voraussetzen.
Rentenmarkt Euroland
Die EZB dürfte den Einlagesatz im September auf 1,75 % senken und danach für längere Zeit auf diesem Niveau belassen. Wir rechnen daher mit seitwärts bis leicht nach oben gerichteten Renditen kurzlaufender Bundesanleihen. Die Steilheit der Bundkurve spiegelt vor allem die Ausgabenpläne für Verteidigung und Infrastruktur wider. Wir gehen auch auf längere Sicht nur von überschaubaren makroökonomischen Auswirkungen aus, sodass weder die an den Rentenmärkten eingepreisten langfristigen Inflationserwartungen noch die realen Renditen von dieser Seite signifikanten Aufwärtsdruck erfahren sollten. Die Erwartung höherer Neuemissionen spiegelt sich bereits in gestiegenen Laufzeitprämien wider. Diese könnten aber noch etwas weiter zunehmen, auch vor dem Hintergrund des voranschreitenden Bilanzabbaus des Eurosystems.
Devisenmarkt: EUR – USD
Trump-bedingt hat der EUR-USD-Wechselkurs eine beachtliche V-Bewegung seit dem Herbst letzten Jahres gezeigt. Nach dem Rückgang um 9 % von Oktober bis Januar (von 1,12 auf 1,02 USD je EUR) folgte bis Anfang Juli ein Anstieg um 16 % auf das Vier-Jahres-Hoch von 1,18 USD je EUR. Zu den zahlreichen Treibern für die US-Dollar-Abwertung in diesem Jahr zählen die deutschen Fiskalpakete vom März, die Ankündigung der reziproken US-Zölle vom April, der fehlende Konsolidierungswille der US-Regierung im neuen Haushaltsplan sowie die Vertrauenseinbußen globaler Investoren in US-Assets, verbunden mit der Umlenkung der Kapitalflüsse nach Europa. Zuletzt kamen auch gestiegene Zinssenkungserwartungen an die Fed hinzu. Vor diesem Hintergrund besteht für den Euro mittelfristig noch weiteres moderates Aufwertungspotenzial.
Aktienmarkt Deutschland
Mit fast 20 % Wertzuwachs verzeichneten deutsche Aktien eine hervorragende erste Jahreshälfte, erst recht mit Blick auf die zahlreichen geopolitischen Turbulenzen und den Handelskonflikt mit den USA. Angesichts der vorherigen Outperformance, der unterschiedlichen Entwicklungen an den Rentenmärkten und der Euro-Stärke entwickelten sich deutsche Aktien in den letzten 1,5 Monaten „nur" seitwärts, während US-Aktien – zumindest in US-Dollar gerechnet – weitere Kursgewinne verzeichneten. Die fiskalpolitische Zeitenwende in Deutschland schritt mit dem Haushaltsplan der neuen Bundesregierung voran. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Renditen von Bundesanleihen, die leicht anstiegen, während 10-jährige Treasury-Renditen im Monatsvergleich sanken. Ab Mitte / Ende Juli steht die Berichtssaison für das zweite Quartal im Marktfokus. Mittel- und längerfristig bleiben die Aussichten für deutsche Aktien positiv, sodass Anleger in Schwächephasen konsequent zukaufen sollten.
Unternehmensanleihemarkt Euroland
An den Kreditmärkten sind die jüngsten Belastungen schnell wieder abgearbeitet worden. Obwohl weder das Zollthema noch die Nahost-Konflikte abschließend gelöst wurden, werden die Spreads von Unternehmensanleihen wieder in etwa auf dem Niveau vom Jahreswechsel gehandelt. Auch die Stimmungsindikatoren für die europäische und vor allem die deutsche Konjunktureinschätzung haben wieder spürbar nach oben gedreht und damit steigen die Hoffnungen auf gute Geschäftsergebnisse der großen Unternehmen. Der Markt für Neuemissionen hat die verbesserte Stimmung gerne aufgegriffen und versorgt internationale Investoren mit reichlich frischem Material, das weiterhin problemlos platziert werden kann. Die anstehende Neuemissionsflaute im Hochsommer wird die Spreads ausstehender Bonds unterstützen.
Emerging Markets
Märkte
Bei Schwellenländeranlagen sind seit der Einigung zwischen China und den USA im Mai, die Zollsätze wieder zurückzunehmen, zwei Trends zu beobachten: Sowohl bei Aktien als auch bei Renten legen die Kurse zu, doch alle ungesicherten Fremdwährungsanlagen werden in Euro gerechnet von der fortgesetzten Aufwertung der europäischen Einheitswährung belastet. EM-Aktien profitierten von Reformhoffnungen nach der Präsidentschaftswahl in Südkorea sowie der Erwartung eines Handelsabkommens zwischen den USA und Taiwan. Unter dem Strich stand zuletzt ein sehr gutes Euro-Ergebnis währungsgesicherter EM-Hartwährungsanleihen, moderate Zugewinne bei Aktien und leichte Verluste bei EM-Lokalwährungsanleihen. Bei Aktien dürfte die Stimmung auch in den kommenden Monaten wesentlich vom Ausblick auf die Handelspolitik bestimmt bleiben. Die Unsicherheit, welche Länder bis zum 9. Juli ein zumindest vorläufiges Handelsabkommen mit den USA abschließen können, ist hoch. Für das Rentenergebnis bleiben wir angesichts des anhaltenden Trends zu sinkenden Leitzinsen zuversichtlich, doch der Euro dürfte noch weiter zulegen.
Szenarien
Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 70 %)
Weltwirtschaft wächst moderat mit durchschnittlich knapp 3 % pro Jahr.
Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung erhöhen perspektivisch den Inflationsdruck und dämpfen das globale Wachstum.
Erratische Politik der US-Regierung mit Zollerhöhungen und Begrenzung der Migration bremst US-Konjunktur.
Geplante umfangreiche Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur stärken in Deutschland den konjunkturellen Aufschwung. Euroland-Konjunktur profitiert ebenfalls von höheren Ausgaben für Verteidigung.
Notenbanken senken Leitzinsen in Abhängigkeit von der Inflationsentwicklung und sind dabei wachsam, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen im Zielbereich von 2 % verankert bleiben.
Lockerung der Geldpolitik stützt Konjunktur und Kapitalmärkte. Fiskalpolitik bleibt angesichts struktureller Herausforderungen (wie Klimawandel, Sozialversicherungssysteme, Demografie usw.) global eher expansiv. Allgemein ist ein Trend zu höherer Staatsverschuldung zu beobachten.
In China begrenzen der Zollstreit mit den USA, die zunehmende staatliche Regulierung und die Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.
Große handelspolitische Unsicherheit kann jederzeit für erhöhte Schwankungen an den Märkten sorgen.
Aktienmärkte bewegen sich moderat aufwärts mit hohen Schwankungen. Sie profitieren vom globalen Wachstum und vom Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit sowie von höheren Rüstungsausgaben.
Zinsen dürften tendenziell Inflationsraten nur knapp übertreffen. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.
Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 20 %)
Einführung massiver Handelsbeschränkungen durch die USA und entsprechende Gegenreaktionen führen zu einem Handelskrieg u.a. mit China, der auch Europa erfasst und das globale Wachstum empfindlich bremst.
Stark steigende Staatsverschuldung löst eine europäische Schuldenkrise aus und birgt das Risiko einer Finanzkrise bzw. eines erneuten Infragestellens der europäischen Währungsunion.
Deutlich höhere Inflationsraten aufgrund von umfassenden protektionistischen Maßnahmen oder von spürbar steigenden Staatsschulden lösen Lohn-Preis-Spirale aus. Notenbanken sehen sich dadurch zu einer nochmaligen Straffung der Geldpolitik gezwungen, die zu einer massiven Rezession führt.
Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs oder des militärischen Konflikts im Nahen Osten mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Deutlich verschärfte Konfrontation zwischen zwei Blöcken mit den USA und China als Leitmächten bzw. die Verschiebung globaler politischer Gewichte zugunsten autoritärer Regimes verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.
Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 10 %)
Einfrieren der geo- und handelspolitischen Konflikte führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.
Eine beherzte Konsolidierung der öffentlichen Staatshaushalte sowie durchgreifende Strukturreformen stärken das globale Wachstum.
Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen lassen Aktienkurse deutlich steigen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.
Überraschend starke Wachstumsdynamik in den Emerging Markets mit Schubwirkung für globale Wirtschaft.