Makro Research mit Dr. Ulrich Kater |
Kommt die Rezession oder kommt sie nicht?

Die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank EZB haben innerhalb eines guten Jahres ihre Leitzinsen massiv angehoben, um die viel zu hohen Inflationsrisiken wirksam zu bekämpfen. Nun scheint es, als ob sie fürs Erste zufrieden wären mit ihrer Vollbremsung. Bei den jüngsten Zinsentscheiden haben sich beide Notenbanken für unveränderte Leitzinsen ausgesprochen. Das Zinsplateau scheint erreicht zu sein. Warum „Zinsplateau“ und nicht „Zinsgipfel“? Weil vieles darauf hindeutet, dass die Leitzinsen in beiden Währungsräumen noch für geraume Zeit hoch bleiben werden.

Ein wichtiger Grund für dieses „High for longer“ ist die Tatsache, dass die Volkswirtschaften so robust auf die widrigen Bedingungen im Umfeld vehementer Zinsanstiege reagieren, sowohl die USA als auch Euroland. Einerseits ist es erfreulich, wenn die restriktive Geldpolitik keine Rezession verursacht. Andererseits steigt damit das Risiko, dass die Inflationsraten die Ziele der Notenbanken ohne Rezession nicht erreichen werden. Es wäre kritisch, wenn die Inflationsraten längerfristig deutlich über 2 % verharren würden, denn dann würden die Notenbanken ihren Ruf als Hüter der Geldwertstabilität riskieren und massiv an Glaubwürdigkeit verlieren.

Somit ist klar, dass baldige Leitzinssenkungen unrealistisch sind. Oder wird vielleicht doch noch eine Rezession kommen, die ein schnelles Umsteuern ermöglichen würde? Schaut man auf die Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes, dann ist zumindest ein konjunkturell frostiges Winterhalbjahr durchaus denkbar. Die Verunsicherung durch die Eskalation im Nahost-Konflikt durch den Überfall der Hamas auf Israel, die damit verbundenen Ängste wegen eines möglichen starken Anstiegs des Ölpreises und die enttäuschende Dynamik der chinesischen Wirtschaft – dies alles sorgt zurzeit für wenig Optimismus.

Doch halten wir an unserer Einschätzung fest, dass die Wirtschaft in den USA und in Euroland erstaunlich robust bleiben dürfte. Anhaltend niedrige Arbeitslosigkeit, steigende verfügbare Einkommen und rückläufige Inflationsraten bestärken uns in der Erwartung, dass im Winterhalbjahr das Wachstum in den großen Wirtschaftsräumen zwar lahm bleibt, es aber nicht zu einer spürbaren Schrumpfung der Wirtschaftsleistung kommen wird. Insofern verbleibt eine hohe Nervosität an den Aktien- wie auch an den Rentenmärkten. Aber die Aussicht auf sinkende Leitzinsen im Lauf des Jahres 2024 dürfte den Aktien- und den Rentenmärkten wieder neuen Schwung verleihen. Das macht die gegenwärtige Übergangsphase interessant für den Aufbau langfristiger Portfolien sowohl mit Anleihe- als auch mit Aktienbestandteilen.

Konjunktur Industrieländer

Deutschland

Die letzten Konjunkturdaten waren durch die Bank eine Enttäuschung. Man muss sich fragen, wie das Statistische Bundesamt auf eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts um nur 0,1 % im dritten Quartal gekommen ist; unsere Modelle deuten auf einen deutlich stärkeren Rückgang hin. Zudem startet die deutsche Volkswirtschaft angesichts der schwachen Septemberindikatoren mit einem sogenannten statistischen Unterhang in das letzte Quartal dieses Jahres, was sich von vornherein negativ auf die Wachstumsrate im vierten Quartal auswirkt. Bildlich gesprochen: Der Konjunkturkarren, der eigentlich den Berg hochfahren soll, ist sogar noch ein Stück zurückgerollt. Man muss daher mit einer zweiten Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts in Folge und damit mit einer technischen Rezession rechnen.

Prognoserevision: Aufwärtsrevision der BIP-Prognose für 2023, Abwärtsrevision für 2024.

Deutschland: Bruttoinlandsprodukt
Deutschland: Bruttoinlandsprodukt

Euroland

Die europäische Wirtschaft hat im dritten Quartal 2023 an Schwung verloren. Laut Veröffentlichung der vorläufigen Schnellschätzung von Eurostat ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Euroland nach einem Anstieg im zweiten Quartal um 0,2 % nun im dritten Quartal 2023 um 0,1 % im Vergleich zum Vorquartal (qoq) geschrumpft. Die konjunkturelle Entwicklung in Euroland war in der Betrachtung der vier großen EWU-Länder im dritten Quartal 2023 vergleichsweise homogen. Spitzenreiter war Spanien mit einer Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Aktivität um 0,3 % qoq. Mit etwas Abstand folgte Frankreich (+0,1 % qoq). Knapp dahinter lagen Italien mit einer stagnierenden Wirtschaftsleistung und Deutschland mit einer leichten Schrumpfung (-0,1 % qoq).

Prognoserevision: Abwärtsrevision der BIP-Prognose für 2023 und 2024.

Euroland: Bruttoinlandsprodukt
Euroland: Bruttoinlandsprodukt

USA

Das Bruttoinlandsprodukt ist im dritten Quartal mit 4,9 % gegenüber dem Vorquartal und auf das Gesamtjahr hochgerechnet überaus kräftig angestiegen. Gleichwohl überraschten die zyklisch bedeutsamen Ausrüstungsinvestitionen auf der unteren Seite. Auch die ersten Stimmungsindikatoren aus dem Unternehmensbereich für das vierte Quartal haben enttäuscht. Damit bekommt die bisherige Resilienz der US-Wirtschaft gegenüber dem sehr hohen Restriktionsgrad der Geldpolitik leichte Risse. Wir haben daher unseren Wachstumsausblick für das Winterhalbjahr 2023/24 etwas nach unten korrigiert, erwarten gleichwohl unverändert für diesen Zeitraum eine sanfte Landung.

Prognoserevision: Abwärtsrevision der BIP-Prognose für 2024.

USA: Bruttoinlandsprodukt
USA: Bruttoinlandsprodukt

Märkte Industrieländer

Europäische Zentralbank / Geldmarkt

Die Marktteilnehmer stellen sich zunehmend auf umfangreiche Leitzinssenkungen im kommenden Jahr ein. Wir halten diese Erwartungen jedoch für überzogen, denn trotz des steilen Rückgangs der Inflation in den vergangenen Monaten bleibt die Unsicherheit über das Erreichen des Inflationsziels vorerst hoch. Wir rechnen mit der ersten Leitzinssenkung im September nächsten Jahres, gefolgt von weiteren Schritten in größeren zeitlichen Abständen. Der Rückgang der Überschussreserven im Bankensystem sollte in absehbarer Zeit noch keine Auswirkungen auf die €STR- und EURIBOR-Sätze haben, sodass sich diese weiterhin am Einlagensatz orientieren. Auf der EZB-Pressekonferenz am 26. Oktober gab Präsidentin Lagarde zu verstehen, dass sich der Rat nicht mit dem Abbau der Wertpapierbestände des PEPP und einer potenziellen Anhebung des Mindestreservesatzes beschäftigt habe. Dennoch dürften diese beiden Themen schon früh im kommenden Jahr wieder in den Blickpunkt rücken, sobald die EZB ihre Überprüfung des operativen Rahmens der Geldpolitik abgeschlossen hat.

EZB: Hauptfinanzierungsansatz
EZB: Hauptfinanzierungsansatz

Rentenmarkt Euroland

Die Absicht der EZB, die Leitzinsen für längere Zeit auf dem derzeitigen Niveau zu belassen, findet angesichts sinkender Inflationsraten und schwacher Konjunkturdaten wenig Gehör bei den Marktteilnehmern, was sich in niedrigeren Renditen vor allem kurzlaufender Bundesanleihen widerspiegelt. Gleichzeitig profitierte das lange Ende der Bundkurve von rückläufigen Inflationserwartungen und sinkenden Renditen von US-Treasuries. Nachlassende geopolitische Risiken und die Wahrnehmung, dass der Beginn von Leitzinssenkungen noch etwas weiter entfernt ist als angenommen, könnten in den kommenden Monaten zu einer leichten Korrektur an den Rentenmärkten führen. Anschließend rechnen wir jedoch mit einem vom kurzen Ende ausgehenden Rückgang der Renditen im Vorgriff auf eine in den kommenden Jahren vermutlich neutrale Geldpolitik.

Bundesanleihen: Renditen in % p.a.
Bundesanleihen: Renditen in % p.a.

Devisenmarkt: EUR-USD

Der EUR-USD-Wechselkurs schwankte im Oktober seitwärts zwischen 1,05 und 1,07 USD je EUR. Anhaltend starke Meldungen zur US-Konjunktur wie das überaus dynamische Wirtschaftswachstum im dritten Quartal 2023 boten dem US-Dollar weiterhin Unterstützung. Anfang November konnte der Euro allerdings über die Marke von 1,07 USD je EUR aufwerten. Dazu beigetragen hat zum einen, dass die US-Notenbank ihre Zinspause bekräftigt hat. Zum anderen fielen die Daten zum US-Arbeitsmarkt für Oktober schwächer als erwartet aus. Nachhaltig stärker konnte sich der Euro bisher aber nicht zeigen. Zwar hat in Euroland die Inflationsrate im Oktober mit einem Rückgang auf 2,9 % positiv überrascht. Dafür hat das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal mit einer leichten Schrumpfung die Erwartungen enttäuscht.

Wechselkurs EUR-USD.
Wechselkurs EUR-USD.

Aktienmarkt Deutschland

Das wirtschaftliche Umfeld bleibt herausfordernd. Sowohl Produktion als auch Nachfrage sind schwach, und die Einkaufsmanagerindizes deuten auf keine zeitnahe Belebung hin. Das liegt auch daran, dass im Rest der Welt derzeit keine neuen Wachstumsimpulse auszumachen sind. Neben den Wachstumsperspektiven hat das geopolitische Umfeld zuletzt zusätzlich für Unsicherheit gesorgt. Angesichts dieser Rahmenbedingungen können sich die Ergebniszahlen der Unternehmen durchaus sehen lassen. Die Gewinnzuwächse sind zwar gering, aber es sind Zuwächse, und sie liegen oberhalb der Erwartungen. Stabile Gewinne sind – in Kombination mit der für den DAX mittlerweile sehr niedrigen Bewertung – zum einen eine hervorragende Begrenzung für Kurskorrekturen in Unsicherheitsphasen. Zum anderen legen sie eine solide fundamentale Basis für eine Kursaufholung zum Jahresende und darüber hinaus sowie für hohe Dividendenausschüttungen im kommenden Jahr.

Prognoserevision: Leichte Abwärtsrevision auf Sicht von 12 Monaten.

Aktienmarktprognose
Aktienmarktprognose

Unternehmensanleihemarkt Euroland

Sorgen über eine Eskalation der Lage im Nahen Osten haben im Oktober die Risikoaufschläge an den Kreditmärkten kurzzeitig anspringen lassen. Doch mit der Beruhigung an Zins- und Aktienmärkten sind auch die Spreads wieder deutlich gesunken. Kassa-Anleihen profitierten hiervon noch stärker als Kreditderivate, da durch eine Pause bei Neuemissionen die Nachfrage nach Bonds am Sekundärmarkt zusätzlich geschürt wurde. Von den Geschäftsberichten der großen europäischen Unternehmen kam dabei allerdings etwas weniger Unterstützung als erhofft. Die Umsatzentwicklung blieb hinter den Erwartungen zurück, dafür konnten die Gewinnergebnisse aber leicht positiv überraschen. Im November dürfte die Neuemissionspipeline noch einmal etwas Druck aufbauen, bevor sich viele Marktteilnehmer Richtung Jahresende zurückziehen.

iTraxx Europe (125)
iTraxx Europe (125)

Emerging Markets

Märkte

Der Zinsentscheid der US-Notenbank Anfang November hat zu einem Stimmungswechsel an den internationalen Kapitalmärkten geführt: Die Renditen und Risikoaufschläge sind gesunken, die Aktienkurse gestiegen und die meisten Währungen haben gegenüber dem US-Dollar zugelegt. Rückläufige Inflationsarten und schwache Konjunkturdaten aus den USA stützen die Sicht, dass der Zinsanhebungszyklus der Fed beendet ist. Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten hat nicht zu einem nennenswerten Anstieg der Risikoaversion geführt. Zwar ist eine politische Lösung nicht in Sicht, doch das Risiko, dass die Kampfhandlungen in einer Weise auf andere Länder der Region ausgeweitet werden, dass dadurch die Ölversorgung der Weltmärkte in Gefahr geriete, ist nach zurückhaltenden Äußerungen sowohl der iranischen Führung als auch der libanesischen Hisbollah eher gesunken. Wir erwarten weitere Renditerückgänge an de¬n internationalen Rentenmärkten, von denen auch Schwellenländeranleihen profitieren sollten. EM-Aktien leiden unter der anhaltend schlechten Wirtschaftsentwicklung und einer schwachen Berichtssaison in China.

EMBIG-Spread
EMBIG-Spread

Szenarien

Wir haben unsere Szenarien und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten unverändert gelassen.

Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 70 %)

Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung halten perspektivisch den Inflationsdruck hoch und dämpfen das globale Wachstum.

Regimewechsel am Kapitalmarkt durch dauerhaft höhere Zinsen.

Notenbanken haben ihren Leitzinsanhebungszyklus weitgehend abgeschlossen und agieren mit aufmerksamem Blick auf die Datenlage. Erste Leitzinssenkungen sind frühestens 2024 zu erwarten.

Weltwirtschaft durchläuft eine Schwächephase und wächst ab 2024 wieder kräftiger.

Wegen weiterhin zu hoher Inflation und wegen deutlich gestiegener Zinsen werden Geld- und Finanzpolitik bis auf Weiteres die Entwicklung von Wirtschaft und Kapitalmärkten nicht mehr so stützen können wie bisher.

Für Europa und die USA sind bis ins Jahr 2024 hinein schwaches Wachstum und zu hohe Inflationsraten zu erwarten.

In China begrenzen die zunehmende staatliche Regulierung und die Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.

Aktienmärkte bewegen sich moderat aufwärts mit hohen Schwankungen. Sie profitieren vom globalen Wachstum und vom Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Zinsen dürften tendenziell Inflationsraten nur knapp übertreffen. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.


Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 20 %)

Zweitrundeneffekte bei der Inflation setzen Lohn-Preis-Spirale in Gang und führen für lange Zeit zu deutlich höheren Inflationsraten. Notenbanken sehen sich dadurch zu einer extrem restriktiven Geldpolitik gezwungen, die eine massive Rezession auslöst.

Belastungen durch spürbar gestiegene Zinsen lösen eine globale Bankenkrise aus.

Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs oder des militärischen Konflikts im Nahen Osten mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Anhaltende Ost-West-Konfrontation verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.

Stark gestiegene Staatsverschuldung löst in Verbindung mit den spürbar gestiegenen Zinsen regionale bzw. globale Schuldenkrisen aus mit dem Risiko einer umfassenden Finanzkrise bzw. in Euroland einem erneuten Infragestellen der Währungsunion.


Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 10 %)

Inflationsraten gehen innerhalb kürzester Zeit zurück und bleiben dann im Bereich der Notenbankziele. Notenbanken können Zinsen schnell auf neutrale Niveaus zurücknehmen.

Einfrieren der geopolitischen Konflikte führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.

Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen lassen Aktienkurse deutlich steigen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.

Überraschend starke Wachstumsdynamik in den Emerging Markets mit Schubwirkung für globale Wirtschaft.

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