Kolumne Dr. Bernhard Jünemann |
Zyklusschmerzen: Aktien oder Renten?

Die Börsen bewegen sich bekanntlich in Zyklen. Warum die Kurse fallen oder steigen, lässt sich nicht immer leicht ausmachen. Meist herrscht einfach nur der Zufall. Manchmal sind es aber auch übergeordnete Trends in Wirtschaft und Gesellschaft. Gut erforscht und dokumentiert ist der mittelfristige Konjunkturzyklus. Ganz klar, wenn die Wirtschaft boomt, die Unternehmen investieren, die Kunden konsumieren und die Firmen ihre Gewinne steigern, sind das gute Gründe für den Kauf von Aktien. Umgekehrt, wenn die Wirtschaft zu schwächeln beginnt, Unternehmensgewinne schrumpfen, Konsumenten sich zurückhalten, geraten die Kurse meist unter Druck. Entscheidend ist jedoch, dass die Börse, an der ja Erwartungen gehandelt werden, oft frühzeitig reagiert, in die eine wie andere Richtung.

Doch wie ist die Lage zurzeit? Auf jeden Fall verwirrend. Der IWF sagt für Deutschland voraus, dass das Wachstum in diesem Jahr um 0,5 Prozent schrumpfen wird. In anderen europäischen Ländern sieht es besser aus, meist leicht positiv. Die USA boomen, wachsen im dritten Quartal mit einer Rate von fast fünf Prozent. Hält diese Entwicklung an, sollte Deutschland seine Rezession schnell überwinden. Für Anlegerinnen und Anleger wäre danach in dieser Phase jetzt genau der richtige Zeitpunkt, wieder stärker in Aktien zu investieren.

Doch wird diese gute Entwicklung des Umfeldes anhalten? Der Economist hat daran jüngst erheblichen Zweifel angemeldet und verweist auf die massiven Subventionen und steigende Staatsverschuldung. Das könne nicht so weitergehen. Zudem sei die gute Entwicklung in den USA durch Aufholkonsum nach der Pandemie induziert, ein Effekt, der jetzt auslaufe.

In der Tat muss man bei der Betrachtung einen zweiten wichtigen Zyklus für die Börse ins Kalkül ziehen: den Zinszyklus der Notenbanken. Auch der ist gut erforscht. Wenn die Wirtschaft boomt, die Inflation grassiert, erhöht die Notenbank die Zinsen, um die Wirtschaft abzukühlen und die Inflation zu drücken. Dieser Prozess beginnt meist im Boom mit guten Unternehmensgewinnen. Erfahrungsgemäß lassen darum die ersten Zinserhöhungen die Börse noch kalt, aber nach und nach wirken sie dämpfend. Ist der Zinsgipfel erreicht, nimmt die Kreditvergabe wieder zu, und das hilft auch den Aktien.

Nur wiederum die Frage auch hier: Wo stehen wir? Ist der Zinsgipfel wirklich erreicht? Die Inflation kommt zwar zurück, 4,5 Prozent aktuell in Deutschland, 3,8 Prozent in den USA. Doch sie ist immer noch deutlich höher als die Zielmarke von zwei Prozent. Das bedeutet, dass die Notenbanken das Zinsniveau auf längere Zeit noch hochhalten müssen. Erst wenn sie wieder senken, wissen wir mit Sicherheit, dass es ein Gipfel war.

Ein weiterer Aspekt: Die schon angesprochene Staatsverschuldung könnte zu einem neuen, alten Problem werden. War es in den Zeiten der Nullzinsen nicht schwierig, die Verschuldung zu finanzieren, tut dies immer mehr weh. Die Staaten könnten so gezwungen sein, die Expansion zu stoppen und Schulden abzubauen. Dies sollte die Konjunktur abbremsen. Einen kleinen Vorgeschmack erleben wir zurzeit in Deutschland, wo Bundesfinanzminister Christian Lindner um die Schuldenbremse kämpft und die Ausgaben zu reduzieren versucht.

Ob die Notenbanken doch noch mal an der Zinsschraube drehen, ist nicht mehr so entscheidend. Wichtig ist, dass das Zinsniveau auf längere Sicht wieder attraktive Renditen bietet. Aus meiner Sicht ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die Anleiheseite in den Portfolios sukzessive zu stärken und je nach Risikobereitschaft selektiv Aktien in der rezessiven Phase aufzustocken. Dann bieten halbwegs sichere Anleiherenditen einen ordentlichen Puffer für den wahrscheinlich holprigen Weg einer Aktienerholung. Das Fazit lautet deshalb: Aktien und Renten gehören ausgewogen in jedes Depot! Keine neue Erkenntnis, aber über viele Zyklen hinweg bewährt.

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