Kolumne Dr. Bernhard Jünemann | Mehr Demokratie wagen – mit ETFs?
Keine Bange. Es geht mir nicht in erster Linie darum, politische Einflüsse, Gesetze und Vorschriften als Einflussfaktoren auf die Geldanlage zu untersuchen. Die These lautet vielmehr, dass ETFs zu einer Demokratisierung der Geldanlage geführt haben.
Zunächst müssen wir die Begriffe klären. Demokratie ist kurzgefasst die Herrschaft des Volkes. Mit Hilfe freier Wahlen entscheidet es über die Regierung. Somit bedeutet Demokratisierung die breite Partizipation am politischen Willensbildungsprozess.
Breite Partizipation – darum geht es auch in der Geldanlage. Da sah es vor dreißig Jahren noch ziemlich düster aus. Natürlich gab es damals große institutionelle Adressen, Versicherungen, Pensionskassen, Industriekonzerne, die wussten, wie man Finanzen gewinnbringend anlegt. Anders im privaten Sektor. Klar, wer ein großes Vermögen hatte und dies mehren wollte, und wer Expertise nicht im eigenen Haus hatte, konnte sich spezialisierter Vermögensverwalter bedienen. Aber wer nur ein paar tausend Mark anzulegen hatte, dem blieben wenig Wahlmöglichkeiten. Er oder sie wurde mit klassischen Sparplänen und im Laufe der achtziger Jahre verstärkt auch mit Investmentfonds versorgt, die es ebenfalls zunehmend in Form von Sparplänen gab. Dass diese Investmentfonds nicht zwangsläufig besser als die Märkte abschnitten, bliebt oft unerwähnt.
Der Selbstentscheider, der aufgrund eigener Kenntnisse und Erfahrungen an der Börse agierte, blieb zunächst die Ausnahme. Doch der Börsenboom in den neunziger Jahren führte neue Anlegende an die Märkte, oft geblendet von der Chance auf hohe Gewinne. Dieser Hype wurde im Jahre 2000 durch den Internetcrash und in der Folge dem Zusammenbruch des Neuen Marktes jäh beendet. Eine ganze Anlegergeneration war verbrannt.
Genau in diesem Jahr 2000 brach die Zeit der ETFs in Deutschland an, zunächst mit wenigen Produkten, die aber inzwischen auf mehr als 2000 allein in Deutschland angewachsen sind. Mit ETFs konnte man einfach auf ganze Märkte setzen, in Form breiter oder auch spezialisierter Indizes, und das alles zu geringsten Gebühren. Institutionelle sprangen schnell auf diese Möglichkeit, sogar die Sparkassen, die in ihren Depot A für die Eigenanlage ETFs aufnahmen. Bei den Privaten dominierten hier anfangs wieder die Selbstentscheider, verstärkt durch Online-Banken, die keine Beratung anboten und so mit den einfachen ETFs punkten konnten.
Die Beratung vieler Kreditinstitute zu ETFs war, gelinde gesagt, sehr zögerlich, aber auch das änderte sich im Laufe der Zeit je populärer die ETFs wurden. Immer mehr Sparplanangebote mit ETFs kamen auf den Markt, und der Bann war gebrochen.
Heute muss man nur junge Leute fragen, wenn sie sich dem Thema Altersvorsorge nähern, was sie denn im Depot haben. ETFs sind das erste Mittel der Wahl. Verstärkt wird die Entwicklung durch sogenannte Robo-Advisors, automatisierte Anlagestrategien, die überwiegend auf ETFs aufbauen. Zudem ist das Internet voll mit Influencerinnen und Influencern. Die seriösen unter ihnen wollen junge Leute an den Vermögensaufbau heranführen. Meist empfehlen sie, mit ETFs anzufangen.
So manch einer wagt jetzt auch, seine Strategie mit einzelnen Aktien oder ausgewählten aktiven Fonds zu ergänzen.
In der Tat kann man feststellen, dass in breiten Schichten Lernprozesse in Gang gekommen sind. Mit ETFs machen sich die Anlegenden mit den unvermeidlichen Schwankungen der Märkte vertraut und erfahren, wie man diese durch langfristige Strategien mit breiter Diversifikation meistern kann. So manch einer wagt jetzt auch, seine Strategie mit einzelnen Aktien oder ausgewählten aktiven Fonds zu ergänzen. Populär sind sogenannte Kern- und Satellitenstrategien. Im Kern liegen breite ETFs als Daueranlage, um die sich spezielle Fonds, Themen-ETFs oder Einzelwerte als Satelliten gruppieren. Das ist nach meiner Beobachtung eben anders als in den neunziger Jahren, wo viele blind mit Einzelaktien agierten, die sie oft nicht verstanden und am Ende ein böses Erwachen erlebten.
Fazit: ETFs haben die Partizipation breiter Schichten am Kapitalmarkt gefördert und sind so ein Instrument der Demokratisierung der Geldanlage geworden. Wer damit umgehen kann, sollte in der Lage sein, die riesigen Wahlmöglichkeiten der Kapitalmärkte besser zu nutzen und allzu große Fehler zu vermeiden.