Interview mit Lars Murek | Auch ETFs bedürfen tiefgreifender Analyse
Wer ist Ihre Kundschaft? Mehr privat oder institutionell ausgerichtet? Und was ist Ihr Leistungsspektrum?
Unser Angebot ist das einer unabhängigen Vermögensverwaltung. Wir richten die Kapitalanlage strikt nach den individuellen Bedürfnissen unserer überwiegend privaten Kundinnen und Kunden aus. Darüber hinaus haben wir auch institutionelle Kunden, also Versorgungswerke, Pensionskassen und Stiftungen. Letztere sind in der Regel am Gemeinwohl ausgerichtet, wobei wir sie jederzeit gerne unterstützen. Insgesamt haben wir so rund 600 Millionen Euro Assets under Management.
Auch wenn Sie sich an den individuellen Bedürfnissen der Kundschaft ausrichten, gibt es so etwas wie eine übergeordnete Anlagephilosophie bei Ihnen?
Da lassen sich vier wesentliche Punkte nennen. Erstens glauben wir, dass nur mit einer tiefgreifenden Analyse ein Mehrwert in der Kapitalanlage erreicht werden kann. Zweitens fokussieren wir uns auf eine Langfristperspektive. Wir reagieren nicht auf das tägliche Hin und Her der Börsen, sondern richten uns strategisch auf das zuvor analysierte Kapitalmarktbild aus. Drittens stellen wir die Vermögensallokation möglichst breit auf und streben robuste Portfolios an. Zudem haben wir viertens neben dieser breiten Diversifikation auch ein Risikomanagement als integralen Bestandteil des Investmentprozesses. So wollen wir großen Verlusten vorbeugen, damit unsere Kundinnen und Kunden ruhig schlafen können.
Wie sieht das Universum der Anlagestrategie aus? Welche Anlageklassen setzen Sie ein?
Die breite Diversifikation bedeutet breite Streuung in den Anlageklassen, also in Aktien, Anleihen, Rohstoffe und alternativen Investments, und das natürlich weltweit. Wir setzen zudem Faktoren ein, die in der Kapitalmarkttheorie langfristig gute Ergebnisse erzielen, zum Beispiel Dividendentitel oder Qualitätsaktien. Schließlich verfolgen wir auch eine Produktdiversifikation, das heißt sowohl Direktanlagen als auch Investments in aktive und passive Fonds, also ETFs.
Damit stellt sich schon die Frage: Welche Rolle spielen ETFs bei Ihnen insgesamt?
Das ist immer Ergebnis eines Prüfprozesses. Zunächst wird analysiert, wo und wie wir im Kapitalmarkt investiert sein wollen. Wir prüfen Direktinvestments in Einzeltitel. Dort wo wir kein Einzeltitelrisiko eingehen möchten, kommen Fonds zum Zuge. Aktive Fonds machen für uns da Sinn, wo sie nachhaltig die höheren Kosten hereinholen und einen Mehrwert erzielen können. Alles andere bilden wir mit ETFs ab, über die wir ja inzwischen eine Vielzahl von Investmentstrategien und Stilrichtungen umsetzen können.
Wie wählen Sie dann ETFs aus? Es gibt ja immer mehrere Anbieter, unterschiedliche Kosten und Replikationsmethoden.
Auch ETFs bedürfen einer tiefgreifenden Analyse. Bei den Standardindizes wie DAX oder S&P 500 ist dies vergleichsweise einfach. Aber schon bei Dividenden-ETFs unterscheiden sich Strategien stark in ihrer Ausrichtung, je nachdem ob man beispielsweise eine möglichst hohe Dividende oder stetig steigende Ausschüttungen präferiert. Wir schauen auf die Sektorschwerpunkte und entscheiden uns dann für einen Index. Beim ETF sind Tracking und Kosten wichtig. Was die Replikationsmethoden betrifft, sind wir nicht voreingenommen, ob physisch oder synthetisch. Aber wir untersuchen das Kontrahentenrisiko genau, das es in jeder Replikationsform gibt.
Dividendenfonds gehören schon zu den Strategie-ETFs. Da gibt es noch mehr Angebote: Low Volatility, Minimum Varianz, Faktorprämien. Und es gibt sogar aktive ETFs, deren Strategien regelbasiert an Marktentwicklungen angepasst werden. Wie halten Sie es damit?
Für uns ist das eine ergebnisoffene Analyse. Nehmen wir an, wir wollen uns defensiv in amerikanischen Aktien engagieren. Wir schauen auf das Angebot an aktiven Fonds. Wir prüfen, was semi-aktive, also regelbasierte ETFs, bieten. Wir schauen schließlich auf klassische ETFs mit Dividendenstärke oder Low-Volatility-Merkmalen. Wir wählen dann das Investment, was am besten zu unseren Portfolios und zu unserer Marktmeinung passt.
Und wie halten sie es mit Themenfonds, die bei vielen sehr beliebt sind?
Da sind wir wesentlich skeptischer. Da wird oft sehr viel Marketing geboten. Es kommt aber darauf an, wie nachhaltig so ein Trend ist und wie die einzelnen Aktien im ETF diesen repräsentieren. Manchmal profitieren nur ein oder zwei Titel spürbar von einem Trend, so dass wir lieber in Einzeltitel investieren.
Damit sind wir schon beim übergeordneten Trend zu Nachhaltigkeit. Es gibt Themen, die versprechen, das direkt umzusetzen. Es gibt Standardindizes, die mit ESG-Kriterien gefiltert werden. Nimmt das Ihre Kundschaft an?
Nachhaltigkeit ist zweifellos ein wichtiges Thema im Beratungsprozess. Aber wir wissen natürlich, dass unter dem großen Banner Nachhaltigkeit ganz unterschiedliche Interpretationen zu finden sind. Deshalb besprechen wir dies individuell mit den Kundinnen und Kunden, um die jeweiligen Präferenzen bestmöglich zu verstehen.
Noch einmal genau zum Risikomanagement. Wie agieren Sie über eine allgemein breite Diversifikation?
Also wie gesagt, prinzipiell wollen wir mit breiter Diversifikation ein robustes Portfolio erstellen. Darüber hinaus prüfen wir ständig, ob es in den Märkten Risikoereignisse gibt, auf die wir reagieren müssen. Da gibt es häufig auch geopolitische Entwicklungen wie zum Beispiel den Ukrainekrieg, der sich auf die Kapitalmärkte auswirkt. Wir haben keinen automatischen Risikomechanismus nach bestimmten Marktindikatoren. Wir antizipieren mögliche Entwicklungen und handeln entsprechend. So sind wir zum Beispiel im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine teilweise aus dem Markt herausgegangen. Wir haben analysiert, was der Konflikt und folgenden Sanktionen zum Beispiel für den Bankensektor bedeuten könnten, und haben unser Engagement in diesem Sektor wegen der Unwägbarkeiten beendet. Im Technologiesektor sind wir momentan neutral positioniert, da sich hohe Bewertungen und optimistische Geschäftsaussichten die Waage halten. Im letzten Jahr haben Gesundheitsaktien stark gelitten. Diese könnten in diesem Jahr ein Comeback erleben.
Wir sind gut über das schwierige Jahr 2022 hinweggekommen, weil wir uns rechtzeitig defensiv aufgestellt haben.
Wie stellen Sie sich nun für 2024 auf? Immerhin gibt es ja wieder ordentliche Zinsen, was das Risikomanagement erleichtert.
Wir sind gut über das schwierige Jahr 2022 hinweggekommen, weil wir uns rechtzeitig defensiv aufgestellt haben. 2023 haben wir ordentlich an der Aufwärtsbewegung partizipiert. Jetzt sind wir in Deutschland in einer Rezession, wenn auch einer milden mit faktischem Nullwachstum. Und auch in Amerika dürfte sich das zur Zeit noch starke Wachstum abschwächen. Deshalb haben wir uns wieder defensiv aufgestellt.
Da muss ich nach einem im Augenblick heftig diskutierten Risiko fragen: Was ist, wenn Donald Trump wieder amerikanischer Präsident wird?
Natürlich befassen wir uns mit möglichen Folgen. Das Ergebnis ist dabei nicht so klar. Unter Trump ist es der amerikanischen Wirtschaft in der ersten Legislaturperiode dank einer progressiven Wirtschaftspolitik mit Steuersenkungen ganz gut ergangen. Er würde voraussichtlich die traditionelle Industrie stärker fördern als die Demokraten. Auf der anderen Seite reagiert er oftmals erratisch, er hat isolationistische Tendenzen und könnte einen Handelskrieg vom Zaun brechen. Das dürfte negativ sein. Daher wird es je nach Wahlausgang unterschiedliche Gewinner und Verlierer geben, auf die wir in unserem Investmentansatz situativ reagieren.