Kolumne Dr. Bernhard Jünemann |
Turbulenzen voraus

Wer die quälenden Haushaltsdebatten im Bundestag verfolgte, kam überraschend ins Staunen. Da hielten Vertreter der Regierungskoalition den Klagen der Opposition über die schlechten Wirtschaftsdaten entgegen: So schlecht könne die Situation nicht sein. Schließlich zeigten die Rekorde des DAX, dass die Wirtschaft brumme.

Verkehrte Welt. Grüne Politiker, die sonst die Börse kritisch als Spekulationsbude brandmarken, loben den Boom. Das kann man als verzweifelten Versuch, sich die Welt der Krisen schön zu reden, einfach mal abhaken. Aber die entscheidende Frage nicht nur der Politiker bleibt: Wie nachhaltig ist dieser Börsenboom?

Daran kann man mit Fug und Recht zweifeln. Wer sich die Welt voller Krisen anschaut, spürt sofort, dass das Verhalten der Finanzmärkte und die politische wie wirtschaftliche Situation nicht zusammenpassen. Das Wachstum vor allem in Europa lahmt, Deutschland ist sogar das Schlusslicht. Die Wirtschaft in China versinkt in Deflation. Zwischen den USA und China droht ein Handelskrieg. Die Notenbanken haben die Zinsen kräftig angehoben, so dass sie Investitionen und Wachstum bremsen.

Dagegen steht die Hoffnung, dass die Inflation inzwischen unter Kontrolle ist und dass die Zinswende noch in diesem Jahr erreicht sein dürfte. In der Tat sind die Inflationsraten deutlich gesunken. In Europa wurde zuletzt noch eine Teuerung von 2,6 Prozent gemessen. Also alles in bester Ordnung?

Ganz so einfach ist es nicht. Die Entwicklung ist vor allem auf die gesunkenen Energiepreise zurückzuführen, die bei Ausbruch des Ukraine-Krieges kräftig angezogen sind. Im Nachklang der hohen Inflation und dem verbreiteten Fachkräftemangel vor allem in Europa hat dies den Gewerkschaften ermöglicht, hohe Lohnzuwächse durchzusetzen. Die sind inzwischen die hauptsächlichen Inflationstreiber und werden von den Notenbanken mit Argusaugen beobachtet. So sind die Inflationsraten zwar zurückgekommen, aber sie setzen sich jetzt hartnäckig über den zwei Prozent fest, die den Notenbanken als Richtschnur dienen. Gut möglich, dass sie die Zinsen in diesem Jahr leicht senken werden, aber kaum auf ein Niveau, das einen Wachstums- und Investitionsschub auslösen dürfte.

Die Apologeten des Börsenbooms verweisen gern auf die starke Wirtschaft in den USA und auf die glänzenden Geschäfte der Tech-Unternehmen dort. Zuletzt waren es die herausragenden Gewinndaten von Nvidia, einem Unternehmen, dessen Chips als Grundlage für den Erfolg der Künstlichen Intelligenz gelten. Mal abgesehen davon, dass der Aufschwung in den USA – zumal in einem Wahljahr – mit einer exorbitanten Steigerung der Staatsschulden erkauft wurde, machen die inzwischen erreichten Bewertungen Sorge. Nach Berechnungen des Economist sind sie inzwischen 80 Prozent höher als in den heißesten Phasen der Internetblase Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Erfahrene Anlegerinnen und Anleger erinnern sich mit Grauen an die Turbulenzen damals. Das Analysehaus sentix, das die Märkte nach psychologischen Kriterien untersucht, kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die institutionellen Investoren zwar noch mitlaufen, aber vom Boom nicht mehr überzeugt sind. Mit anderen Worten: Sie wissen um die Gefahren und sind bereit schnell auszusteigen.

Es muss nicht unbedingt sein, dass die Börsen in einen langen Bärenmarkt absacken, aber eine heftige Korrektur muss kommen.

Ein weiteres Warnzeichen ist der Goldpreis, der weit über die Marke von 2.000 Dollar je Feinunze hochgeschnellt ist. Diese Entwicklung ist ungewöhnlich, da Gold normalerweise in Zeiten hoher Zinsen leidet. Diesmal könnte die Flucht ins Edelmetall zeigen, wie hoch die Unsicherheit der Marktteilnehmer inzwischen ist.

Alles zusammen genommen, ist kaum davon auszugehen, dass die Bewertungen noch länger nach oben streben. Es muss nicht unbedingt sein, dass die Börsen in einen langen Bärenmarkt absacken, aber eine heftige Korrektur muss kommen, je früher desto besser. Dies würde die Märkte bereinigen und den Boden für einen weiteren Aufschwung ohne Übertreibungen bereiten. Anlegerinnen und Anleger sollten sich auf Turbulenzen vorbereiten. Portfolios jetzt noch massiv aufzustocken, könnte sich schnell als Fehlentscheidung entpuppen. Risiken sollten überprüft und Portfolios krisenfester aufgestellt werden. Wer rechtzeitig handelt, kann dann in den Turbulenzen auch antizyklisch agieren und sich manche günstige Gelegenheit sichern.

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