Interview mit Jürgen Dietrich | „Das ETF-Geschäft wächst kontinuierlich“
Privatanlegende fragen sich oft: Sollen sie an einer Börse handeln oder eine der vielen außerbörslichen Plattformen in Anspruch nehmen, die oft auch günstigere Konditionen bieten?
Für die Börse spricht, dass sie ein regulierter Handelsplatz ist, mit hoher Transparenz und Liquidität. Es gibt eine Handelsüberwachungsstelle, die dafür sorgt, dass marktgerechte Preise festgestellt werden. Diesen Schutz bieten außerbörsliche Plattformen im Direkthandel mit Banken und Market Makern nicht.
Warum sollte es die Börse Stuttgart sein? Was bieten Sie Anlegerinnen und Anlegern mehr als zum Beispiel die Konkurrenz in Frankfurt?
Der Vorteil von Stuttgart ist unser hybrides Handelsmodell. Bei uns sitzen noch echte Händler im Handelssaal, die zusammen mit unserer IT für höchste Handels- und Ausführungsqualität sorgen. Sie bündeln die Liquidität, nicht nur von Orders in Stuttgart, sondern von allen bei uns angeschlossenen Handelsteilnehmern. Daraus ergibt sich der beste Ausführungspreis für den Kunden.
Ist das im Xetra-Handel in Frankfurt nicht genau so?
Nein. Xetra ist ein rein elektronisches Handelssystem. Unser hybrides System läuft zwar im Normalfall ähnlich. Aber der Händler greift ein, wenn sich die Geld-Brief-Spanne stark vergrößert, überprüft, was los ist, unterbricht den Handel kurz und schaut, ob der Preis marktgerecht ist. Das gilt auch für den ETF-Handel. Man muss beachten, dass bei wichtigen Marktereignissen, zum Beispiel wenn amerikanische Arbeitsmarktdaten veröffentlicht werden, viele Marktteilnehmer Hochfrequenzalgorithmen einsetzen. Wir nehmen für unsere Kundinnen und Kunden etwas Geschwindigkeit raus, damit sie in solchen Situationen nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden. Ist alles in Ordnung, wird der Auftrag so schnell wie möglich ausgeführt.
Wie groß ist das ETF-Geschäft bei Ihnen? Es gibt daneben noch Direktinvestments mit Aktien und Anleihen und die aktiven und passiven Fonds.
Das ETF-Geschäft hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Wir sehen kontinuierlich steigende Umsätze, bedingt zum Teil auch durch Sparpläne mit Indexfonds. Zudem wird verstärkt von klassischen aktiven Publikumsfonds, die auch ihre Berechtigung haben, in ETFs umgeschichtet.
Auch institutionelle Adressen kaufen ETFs. Haben die einen Vorteil gegenüber den Privaten?
Im Endeffekt hebt unser Handelsmodell institutionelle und private Anlegende auf das gleiche Niveau. Wir versuchen immer den besten Preis zu finden, der allen Marktteilnehmern gerecht wird.
Stuttgart bietet verschiedene Ordertypen. Wie profitieren Privatanlegende?
Es gibt bei uns die klassische Billigst- oder Limit-Order. Der Kunde kauft oder verkauft zum nächsten festgestellten Preis (Billigst-Order). Bei der Limit-Order wird der maximale Preis für Kauf oder Verkauf vorher festgelegt. Dann gibt es unter anderen noch den intelligenten Ordertyp „One-cancels-the-other". Nehmen wir ein Beispiel: Ich kaufe einen ETF bei 100 Euro und kann festlegen, dass ich bei 120 Euro aussteige. Fällt der Preis aber unter 80 Euro, steige ich ebenfalls aus, um die Verluste zu begrenzen. Das, was zuerst passiert, wird umgesetzt, die andere Limit-Order wird gelöscht. Solche Odertypen helfen Privatanlegenden nach unserer Erfahrung, besser mit starken Bewegungen an den Märkten zurechtzukommen. Zusätzlich bieten wir noch den sogenannten börslichen Soforthandel. Anlegende können über bestimmte Broker direkt einen Preis an der Börse anfragen und dann innerhalb einer festgelegten Zeitspanne ihre Order aufgeben. Diese wird mindestens zur angezeigten Preisindikation ausgeführt – oder sogar besser, wenn sich der Markt in der Zwischenzeit zugunsten des Anlegenden entwickelt.
Wird so etwas von den privaten Anlegenden genutzt?
Ja, von geübten und erfahrenen privaten Anlegenden. Wir haben darüber hinaus mit TradeREBEL noch eine spezielle Handelsplattform aufgebaut, die ohne klassisches Orderbuch direkt mit Preisanfragen funktioniert. Hier gibt es keine Transaktionskosten. Wir richten uns damit an verschiedene Zielgruppen, institutionelle Investoren, aber auch private Anlegende, die sehr kostenbewusst agieren.
Dazu braucht es natürlich gute Informationen. Was bieten Sie, besonders im Bereich der ETFs?
Wir setzen schon seit Jahren neben den Preisinformationen auf unserer Website auf Bildung für Anlegerinnen und Anleger. Es gibt einen Anlegerclub, dessen Mitgliedschaft kostenfrei ist. Wir bieten vielfältige Veranstaltungen und Newsletter, die auf kontinuierlichen Wissenserwerb abzielen. Auf unserer Website gibt es einen ETF-Finder, mit dem man die passenden Indexfonds herausfiltern kann. Wer sich ins Trading einarbeiten möchte, findet Hilfe in unserem Trading Desk. Schließlich gibt es Informationssendungen in unserem YouTube-Kanal. Dort führen wir Interviews mit eigenen Experten und mit Handelsteilnehmern oder Emittenten. Unser Ziel ist, so viel Expertise wie möglich zu vermitteln.
Dann müssen wir uns noch den Kryptowährungen widmen. In den USA kann man die inzwischen über ETFs erwerben. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Ganz klar, der Markt für Kryptowährungen ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Allerdings ist auch die Volatilität extrem hoch. Trotzdem ist das Interesse groß, allerdings auch die Komplexität des Handels. Wie handle ich damit? Wie werden Kryptowährungen verwahrt? Wie gehe ich mit den Wallets um? Wir sind als Börse Vorreiter in Deutschland mit den ersten Zulassungen von Krypto-Wertpapieren schon 2017. Bei uns werden inzwischen rund 150 Krypto-ETNs gehandelt, also Exchange Traded Notes, die es erlauben, ohne Wallets an der Entwicklung von Kryptowährungen zu partizipieren. ETFs mit Kryptowährungen gibt es in Europa nicht, da ein Fonds der Risikostreuung entsprechen muss. Deshalb wird es, auch wenn viele darauf warten, in Europa keine Bitcoin-ETFs geben. Aber wir bieten mit dem Handel der ETNs schon einen einfachen Zugang.
Ein großes Thema ist die Abwicklung des Handels. Sie soll möglichst kostengünstig, ja sogar kostenfrei werden.
Leiter des Handels mit Exchange Traded Products (ETPs)
Ein Blick in die Zukunft: Was bereiten Sie sonst noch vor?
Ein großes Thema ist die Abwicklung des Handels. Sie soll möglichst kostengünstig, ja sogar kostenfrei werden. Ich denke, dass es letzten Endes möglich sein wird, Wertpapiere jeder Art über die Blockchain, ein digitales Kassenregister, abzuwickeln. Wann das so weit sein wird, kann ich nicht sagen. Aber das wird das spannendste Thema in der Zukunft sein.
Zum Schluss ein paar Hinweise: Wie sollen private Anlegerinnen und Anleger vorgehen, um für sich die richtige Strategie, das richtige Instrument und den besten Handelsplatz auszuwählen?
Für Privatanlegende ist erst einmal wichtig, sich darüber klar zu sein, was ihr Anlagehorizont ist. Altersvorsorge mit sehr langfristiger Sicht oder kurzfristiges Handeln, um noch aktiver Chancen zu nutzen? Sie müssen sich über ihre Risikobereitschaft bewusst sein. Wie viel Risiko können und wollen sie eingehen? Schließlich muss jeder wissen, dass es an der Börse nicht immer nach oben geht und Kurse ordentlich einbrechen können. Das Konzept der Risikostreuung muss verinnerlicht sein. Das geht natürlich sehr komfortabel mit einem Fonds, sei es mit einem ETF auf einen breiten Index oder mit einem aktiven Fonds, bei dem ein Manager die Auswahl trifft. ETFs sind besonders kostengünstig, aber ein guter aktiver Fondsmanager kann den Index auch schlagen. Alternativen sind sogenannte aktive ETFs, die sich nach bestimmten Regeln der Marktentwicklung anpassen können. In dieser Kategorie erwarte ich ein wachsendes Angebot.
