Kolumne Dr. Bernhard Jünemann |
Ernüchternde Bilanz

Eigentlich spricht viel für eine Investition in Emerging Markets. Sie sind dynamisch, aufstrebend, wachstumsstark, wenn auch deutlich volatiler als Industrieländer. Ihre Hochzeit erlebten die Schwellenländer am Beginn des neuen Jahrhunderts. Sie hatten damals ihre Schulden im Griff und profitierten von der Globalisierung. Besonders der rasante Aufstieg Chinas war atemberaubend. Das Land hatte die kommunistische Planwirtschaft durch marktwirtschaftlichen Pragmatismus abgelöst. Es trat der Welthandelsorganisation bei und wurde zur exportorientierten Werkbank. Wachstumsraten von acht Prozent pro Jahr versetzten Anlegerinnen und Anleger ins Staunen. Der damalige Chefvolkswirt von Goldman Sachs, Jim O’Neill, kreierte das eingängige Akronym BRIC, aus dem später BRICS wurde und dass die Länder Brasilien, Russland, China, Indien und Südafrika umfasst. Ihnen wurde nur zu gerne eine glanzvolle Zukunft vorausgesagt.

Kein Wunder, dass viele Analysten die Schwellenländer als stabilisierenden Faktor für die Weltwirtschaft lobten. Zugestanden, es gab immer mal wieder Ausreißer. Aber sie trübten kaum das positive Bild der Ländergruppe insgesamt. Für global aufgestellte Portfolios wurde ein erhöhter Anteil empfohlen. Statt wie früher höchstens fünf Prozent, galten sogar 20 Prozent und mehr als sinnvoll.

Und heute, fast zwanzig Jahre später? Ernüchterung macht sich breit. Der erhoffte Aufschwung der Schwellenländer ist ins Stocken geraten. Der MSCI Emerging Market Index, der 24 Länder und 1400 Aktien umfasst, hat in der jüngsten Krise 2022 mehr verloren als der MSCI World und sich 2023 schwächer erholt als dieser. Längerfristig, bezogen auf fünf Jahre, hat der Index sogar vier Prozent verloren. Nur unter Einbeziehung der gezahlten Dividenden kommt ein kleines Plus von 2,5 Prozent heraus. Der MSCI World, der die Industrieländer repräsentiert, hat in dieser Zeit mit Dividenden 14 Prozent geschafft.

Ein Grund dafür liegt auf der Hand: China. Dessen Aktiengesellschaften haben im MSCI-Index immerhin ein Gewicht von knapp über 30 Prozent. Die Misere hat einen Namen: „Xi’s Broken Model“, wie der „Economist“ kürzlich titelte. Die chinesischen Börsen gingen schon vor Corona auf Talfahrt, als Präsident Xi eine Re-Ideologisierung der Wirtschaftspolitik verkündete und die dynamischen Techkonzerne unter Kuratel stellte. Dann kam die rigide Null-Covid-Politik mit drastischen Lockdowns dazu, die das Land stilllegte. Der Aufschwung nach der Pandemie blieb bescheiden. Die chinesischen Immobilienmärkte wanken, die Exporte stottern. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt wohl mehr als 20 Prozent. Hinzu kommen Handelsspannungen mit den USA. Auch rächt sich jetzt, dass Peking die Staatsverschuldung auf Rekordniveau gehievt hat, um jede kleine Wachstumsschwäche sofort auszumerzen. Kein Wunder, dass MSCI China-ETFs in den letzten fünf Jahren ein Minus von drei Prozent aufweisen.

So hat auch das Akronym „BRICS“ an Glanz verloren, nicht nur wegen China. Russland wurde nach dem Überfall auf die Ukraine sofort aus dem MSCI Emerging Markets Index entfernt. Der Aktienmarkt und die wenigen verbliebenen ETFs sind inzwischen um 50 Prozent abgestürzt. Südafrika wird durch inkompetente ANC-Regierungen mehr und mehr heruntergewirtschaftet. Die Firmen leiden zunehmend unter Stromabschaltungen. ETFs mit südafrikanischen Titeln weisen nach fünf Jahren denn auch eine Minirendite von 0,2 Prozent auf.

Indien dagegen ist ein Lichtblick, wenn auch nicht ohne Probleme. Die Wirtschaft dort wächst überdurchschnittlich. Entsprechende ETFs weisen im Fünf-Jahres-Zeitraum Renditen von mehr als acht Prozent auf. Auch Brasilien entwickelt sich passabel. Das Fünf-Jahres-Ergebnis für Brasilien beträgt 4,5 Prozent. Natürlich gibt es in den insgesamt 24 Ländern des MSCI-Index weitere positive Beispiele. Ob ihre Entwicklung jedoch die China-Schwäche kompensieren vermag, bleibt abzuwarten.

Wie geht es nun weiter? Bloomberg berichtet, dass sich viele Hedge-Fonds jetzt überdurchschnittlich in Emerging Markets engagieren, weil sie den Boden erreicht sehen und auf massive Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft in China setzen. Das kann kurzfristig helfen, aber die strukturellen Probleme dürften nicht so schnell beseitigt werden, vor allem wenn die kommunistische Partei ihre Kontrolle über die private Wirtschaft weiter ausdehnt. China dürfte so noch einige Enttäuschungen parat haben.

Natürlich gehören Schwellenländer weiter in global ausgerichtete Depots, aber in der Tendenz eher untergewichtet. Als Alternative bieten sich ETFs auf regionale Indizes an, zum Beispiel Asien ex China oder Lateinamerika. Anlegerinnen und Anleger sollten sich bewusst sein, dass die Chancen in den Schwellenländern immer auch mit erheblichen Risiken einhergehen.

Der Aktienmarkt und die wenigen verbliebenen ETFs sind inzwischen um 50 Prozent abgestürzt.

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