Makro Research mit Dr. Ulrich Kater. |
Von schrillen zu leiseren Tönen.

In den letzten Wochen gab es großbuchstabige, laute Überschriften, die den Finanzmärkten durchaus Angst machen konnten. Vom Risiko einer mit 2008  /  2009 vergleichbaren Finanzmarktkrise 2.0 war mit Blick auf mehrere größere US-Bankenpleiten die Rede. Und jüngst stand eine Zahlungsunfähigkeit der USA im Raum. Zweifellos hätten beide Schocks beträchtliche ökonomische Verwerfungen ausgelöst. Doch haben die Finanzmarktteilnehmer wie auch wir diesen Risiken eine vergleichsweise geringe Eintrittswahrscheinlichkeit beigemessen. In der Tat sieht es derzeit danach aus, dass die Banken mit dem Stress aus der massiven geldpolitischen Straffung ganz gut klarkommen. Zudem ist der Streit in den USA um die Anhebung der Schuldenobergrenze politisch beigelegt.

Nach diesem schrillen Krisengetöse sollte nun erstmal etwas Ruhe einkehren, die Perspektiven haben sich aufgehellt. Dennoch wachsen die Konjunkturbäume nicht in den Himmel. Die ungünstigeren Finanzierungsbedingungen streuen Sand ins Investitionsgetriebe und lassen für die kommenden Quartale nicht viel mehr als eine blutleere konjunkturelle Aufwärtsentwicklung erwarten. Höhere Zinsen bremsen die Investitionstätigkeit, und die noch immer zu hohen Inflationsraten lasten auf den Konsumausgaben. Positiv ist, dass die robusten Arbeitsmärkte die Nachfrage der privaten Haushalte stützen, ebenso wie die spürbar anziehenden Lohnsteigerungen vor allem in Europa. Von der Inflation gibt es vordergründig ebenfalls Positives zu berichten, sie geht nämlich deutlich zurück. Allerdings sind die rückläufigen Inflationsraten vor allem den fallenden Energiepreisen geschuldet. Im Kern, also in der Inflationsrate ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise, ist die Entwicklung hin zum Notenbankziel von 2 % äußerst zäh. Ob es noch zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt, wird man erst im kommenden Jahr einschätzen können. Sollten die Sorgen hier zunehmen und das Risiko einer lohnbedingt höheren Inflation die Ziele gefährden, stünden wohl sogar noch mehr als zwei weitere Leitzinserhöhungen seitens der EZB an. In diesem Risikoszenario müssten die Finanzmarktteilnehmer nochmals länger auf erste Leitzinssenkungen warten und deshalb womöglich resignieren. Deutlich wahrscheinlicher ist es unserer Einschätzung nach freilich, dass global die Pause der Leitzinserhöhungen naht und im kommenden Jahr die Zinstreppe von den Notenbanken – in unterschiedlichem Tempo – nach unten beschritten wird. Mithin besteht unverändert ein konstruktives Kapitalmarktumfeld mit der Aussicht auf moderate Kurssteigerungen an den Aktien- und Rentenmärkten.

Konjunktur Industrieländer.

Deutschland

Wieder einmal wurde die vorläufige Schnellschätzung des Bruttoinlandsprodukts nach unten revidiert. Mit dem Rückgang um 0,3 % im ersten Quartal 2023 gegenüber dem Schlussquartal 2022 wird das Kriterium einer technischen Rezession erfüllt. Schuld waren der schwache private Konsum und ein Rekordrückgang des Staatskonsums. Aktuelle Stimmungsindikatoren deuten auf eine lahme Industriekonjunktur hin. Die Vorzeichen für die Dienstleister sind dagegen deutlich besser. Im weiteren Jahresverlauf schieben die wieder anziehenden Realeinkommen, während die geldpolitischen Straffungsmaßnahmen bremsen.

Prognoserevision: Abwärtsrevision der Konjunktur- und Inflationsprognose.

Deutschland: Bruttoinlandsprodukt
Deutschland: Bruttoinlandsprodukt

Euroland.

Euroland befindet sich in einer wirtschaftlichen Schwächephase. Die hohe Inflation belastet den privaten Konsum, und die gestiegenen Finanzierungskosten führen zu einer zurückhaltenden Investitionstätigkeit der Unternehmen. Die Frühindikatoren für das zweite Quartal deuten eine anhaltende Heterogenität unter den Wirtschaftsbereichen an. Während die Industrie besonders leidet, ist die Stimmung im Dienstleistungsbereich noch gut. Eine zentrale Stütze für die europäische Wirtschaft ist der starke Arbeitsmarkt. Die EWU-Arbeitslosenquote erreichte im April mit 6,5 % ein Allzeittief. Dahinter verbergen sich jedoch große Unterschiede. Spitzenreiter ist Deutschland mit einer Arbeitslosenquote von 2,9 %. Die rote Laterne trägt Spanien mit einer Arbeitslosenquote von 12,7 %. Fast gleichauf liegen Frankreich (7,0 %) und Italien (7,8 %).

Prognoserevision: Abwärtsrevision der Inflationsprognose für 2023.

Euroland: Bruttoinlandsprodukt
Euroland: Bruttoinlandsprodukt

USA.

Das inoffizielle monatliche Bruttoinlandsprodukt ist im April um 0,4 % gegenüber dem Vormonat relativ kräftig angestiegen. Zudem deutet die Zusammensetzung an, dass die zyklisch bedeutsamen Teilbereiche wieder etwas an Dynamik gewonnen haben. Zusammen mit dem weiterhin sehr kräftigen Beschäftigungsaufbau im Mai erwarten wir für das zweite Quartal nun keine Schrumpfung der wirtschaftlichen Aktivität mehr. Nunmehr rechnen wir in der zweiten Jahreshälfte 2023 mit einer milden Rezession, denn die Geldpolitik wirkt weiterhin restriktiv. Die politische Einigung im Streit um die Schuldenobergrenze beinhaltete ein fiskalisches Sparpaket, das für eine geringfügige zusätzliche Belastung im kommenden Jahr sorgt.

Prognoserevision: Aufwärtsrevision der BIP-Prognose für 2023 sowie Abwärtsrevision für 2024.

USA: Bruttoinlandsprodukt
USA: Bruttoinlandsprodukt

Märkte Industrieländer.

Europäische Zentralbank / Geldmarkt.

Im Vorfeld der EZB-Ratssitzung am 15. Juni gaben zahlreiche Mitglieder zu verstehen, dass sie weitere Leitzinserhöhungen als notwendig erachten, dabei Schritte von 25 Basispunkten aber als ausreichend ansehen. Umstritten ist unter den Notenbankern demgegenüber, wie weit die EZB diese Straffung bei ihren folgenden Sitzungen noch fortsetzen sollte. Angesichts der nach unten gerichteten Kerninflation und der schwachen Kreditvergabe gehen wir davon aus, dass die EZB nach der Erhöhung des Einlagensatzes auf 3,75% im Juli ihre Geldpolitik als ausreichend restriktiv betrachten wird. Mit dem Beginn von Leitzinssenkungen rechnen wir jedoch erst in der zweiten Jahreshälfte 2024. In den kommenden Monaten werden die heranrückenden Fälligkeiten der langfristigen Refinanzierungsgeschäfte TLTRO-III sowie das allmähliche Abschmelzen der Wertpapierbestände der EZB zu einer Reduktion der Überschussreserven im Bankensystem führen. Dennoch werden diese noch für einige Zeit hoch genug bleiben, um die €STR- und EURIBOR-Sätze an den Einlagensatz zu koppeln.

EZB: Hauptfinanzierungsansatz
EZB: Hauptfinanzierungsansatz

Rentenmarkt Euroland.

In den vergangenen Wochen haben die Marktteilnehmer ihre Erwartungen über noch bevorstehende Leitzinserhöhungen der EZB etwas weiter nach oben korrigiert. Da sie aber nach wie vor von schon früh im kommenden Jahr beginnenden Senkungen ausgehen, hat sich dies vor allem auf die Renditen in den kürzeren Laufzeitbereichen ausgewirkt. Gleichzeitig erwies sich das lange Ende als relativ widerstandsfähig gegenüber Belastungen wie steigenden Renditen von US-Staatsanleihen, steigenden Inflationserwartungen und dem von der EZB angekündigten Ende ihrer Reinvestitionen im Rahmen des APP. Der deshalb wieder etwas stärker inverse Verlauf der Bundkurve dürfte sich nur ganz allmählich zurückbilden, denn angesichts der hartnäckig hohen Inflation rechnen wir mit eher späteren und auch langsameren Leitzinssenkungen der EZB.

Bundesanleihen: Renditen in % p.a.).
Bundesanleihen: Renditen in % p.a.).

Devisenmarkt: EUR-USD.

Ein Déjà-vu: Wie schon im ersten Quartal ist der EUR-USD-Wechselkurs Anfang Mai nach dem Erreichen der Marke von 1,10 USD je EUR gesunken und notierte Anfang Juni bei 1,07 USD je EUR. Erneut waren es insbesondere die wechselnden Leitzinserwartungen an die US-Notenbank, die den US-Dollar gestützt haben. Die Markterwartung zur Leitzinswende nach unten hat sich angesichts eines nicht weiter eskalierenden Bankenstresses sowie starker US-Arbeitsmarktdaten ins kommende Jahr verschoben und sich damit unserer Prognose angenähert. Zudem ist für die Fed eine weitere Leitzinserhöhung im Sommer nicht auszuschließen. Die Leitzinserwartungen an die EZB blieben hingegen unverändert. Auf Sicht von 12 Monaten dürfte der Euro aufgrund dann deutlich reduzierter Differenzen bei Leitzinsen und Realzinsen zu den USA nachhaltig aufholen können.

Wechselkurs EUR-USD.
Wechselkurs EUR-USD.

Aktienmarkt Deutschland.

Die Stimmung bei den deutschen Unternehmen trübt sich leicht ein, ist aber weit davon entfernt einzubrechen. Die aktuelle Schwäche der deutschen Volkswirtschaft können die Unternehmen dank ihrer globalen Ausrichtung gut kompensieren. Hinzu kommt, dass die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte deutlich rückläufig sind und die Lieferketten sich normalisieren. Somit können die Unternehmen wieder in einem ruhigeren Fahrwasser wirtschaften, und die zuletzt leicht zur Schwäche neigende Nachfrage kann durch die Normalisierung bei der Produktion ausgeglichen werden. In der Summe ergibt sich eine für das Wachstumsumfeld gute Profitabilität, was sich in stabilen bis leicht steigenden Unternehmensergebnissen niederschlägt. Gleichzeitig liegt die Bewertung lediglich auf langfristigen Durchschnittswerten. Mögliche Kursrücksetzer über die Sommermonate sollten aufgrund der positiven mittel- und langfristigen Perspektiven für Zukäufe genutzt werden.

Aktienmarktprognose
Aktienmarktprognose

Unternehmensanleihemarkt Euroland.

Die Sorge um eine Eskalation im US-Schuldenstreit hat auch den Markt für Unternehmensanleihen belastet. Nachdem diese Hürde überwunden werden konnte, sind die Risikoaufschläge wieder gesunken und die Marktteilnehmer konzentrieren sich auf Konjunktur- und Leitzinsaussichten. Auch die zuletzt überraschend niedrigeren Inflationsraten haben die Marktstimmung belebt, da die Erwartungen an weitere Leitzinsanhebungen reduziert werden konnten. Die Konjunkturaussichten trüben sich allerdings zunehmend ein, für die kommenden Monate wird in Europa nur ein schwaches Wachstum erwartet. Dementsprechend könnten enttäuschende Unternehmensergebnisse die Spreads über den Sommer ein wenig in die Höhe drücken, bevor die Hoffnung auf eine Erholung im nächsten Jahr die Stimmung aufbessert.

iTraxx Europe (125)
iTraxx Europe (125)

Emerging Markets.

Märkte.

Die Schwäche des Euros war in den vergangenen Wochen der Haupttreiber für die Euro-Performance von Aktien und Lokalwährungsanleihen aus Schwellenländern. EM-Hartwährungsanleihen litten dagegen unter steigenden US-Renditen. Mit Blick auf die kommenden Monate erscheint vor allem das Umfeld für Anleihen konstruktiv: Die US-Fed dürfte ebenso wie die Zentralbanken der Schwellenländer ihren Zinsanhebungszyklus beendet haben und weltweit sind die Inflationsraten auf dem Rückzug. Dies spricht für rückläufige Anleiherenditen für Hart- und Lokalwährungsanleihen. Allerdings steigt die Gefahr von Währungsverlusten gegenüber dem Euro, da die EZB die Zinsen gegen den globalen Trend noch weiter anheben dürfte. Das anhaltend schwache Wachstumsumfeld spricht zunächst für etwas höhere Risikoaufschläge bei Hartwährungsanleihen. EM-Aktien leiden unter anhaltend enttäuschenden Wirtschaftsdaten aus China und den fortgesetzten Spannungen zwischen China und den USA. Dagegen profitiert der starke taiwanische Technologiesektor von der Euphorie um die Perspektiven für künstliche Intelligenz und stützt den Markt.

EMBIG-Spread
EMBIG-Spread

Szenarien.

Wir haben unsere Szenarien überarbeitet, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten jedoch unverändert gelassen.

Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 65 %)

Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung halten perspektivisch den Inflationsdruck hoch und dämpfen das globale Wachstum.

Regimewechsel am Kapitalmarkt durch dauerhaft höhere Zinsen.

Notenbanken erhöhen Leitzinsen bzw. halten sie auf hohem Niveau, bis Rückgang der Inflationsraten hinreichend weit vorangeschritten ist. Erste Leitzinssenkungen sind frühestens 2024 zu erwarten.

Weltwirtschaft durchläuft eine Schwächephase und wächst ab 2024 wieder kräftiger.

Wegen weiterhin zu hoher Inflation und wegen deutlich gestiegener Zinsen werden Geld- und Finanzpolitik bis auf Weiteres die Entwicklung von Wirtschaft und Kapitalmärkten nicht mehr so stützen können wie bisher.

Für Europa und die USA sind bis ins Jahr 2024 hinein schwaches Wachstum und zu hohe Inflationsraten zu erwarten.

In China begrenzen anhaltende Probleme wie die verstärkte staatliche Regulierung und die Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.

Aktienmärkte bewegen sich zunächst seitwärts mit hohen Schwankungen. Mittelfristig profitieren sie von globalem Wachstum und dem Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Zinsen dürften tendenziell niedriger als Inflationsraten bleiben. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.


Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 25 %)

Zweitrundeneffekte bei der Inflation setzen Lohn-Preis-Spirale in Gang und führen zu anhaltend deutlich höheren Inflationsraten. Notenbanken sehen sich dadurch zu einer extrem restriktiven Geldpolitik gezwungen, die eine massive Rezession auslöst.

Belastungen durch spürbar gestiegene Zinsen lösen eine globale Bankenkrise aus.

Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Anhaltende Ost-West-Konfrontation verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.

Stark gestiegene Staatsverschuldung löst in Verbindung mit den spürbar gestiegenen Zinsen regionale bzw. globale Schuldenkrisen aus mit dem Risiko einer umfassenden Finanzkrise bzw. in Euroland einem erneuten Infragestellen der Währungsunion.


Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 10 %)

Inflationsraten gehen innerhalb kürzester Zeit zurück und bleiben dann im Bereich der Notenbankziele. Notenbanken können Zinsen schnell auf neutrale Niveaus zurücknehmen.

Einfrieren des Russland-Ukraine-Konflikts führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.

Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen führen zu deutlichen Aktienkursanstiegen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.

Überraschend starke Wachstumsdynamik in den Emerging Markets mit Schubwirkung für globale Wirtschaft.

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