Interview
„Investieren wird individueller.“
Standard- oder Themenindizes für ETFs? Wem gehört die Zukunft? Konrad Sippel, Leiter Research beim Indexanbieter Solactive AG, analysiert, wie neue Trends und Tendenzen frühzeitig identifiziert und für ETFs genutzt werden und stellt das neueste Produkt des Hauses vor.
2015 haben wir das erste Interview mit Solactive für „Wertarbeit“ gemacht. Damals war Solactive noch der Herausforderer der großen Indexanbieter und punktete mit der flexiblen Umsetzung von Kundenwünschen. Was hat sich seitdem bei Ihnen getan?
Solactive ist weiter kräftig gewachsen. Heute haben wir über 250 Mitarbeiter und sind mit Niederlassungen in Deutschland, Nordamerika und Asien vertreten. Umsetzung von Kundenwünschen in Indizes ist immer noch unser Kerngeschäft. Solactive hat ja im Zertifikatebereich begonnen, ist aber inzwischen auch sehr im ETF-Bereich präsent. Das gilt vor allem für thematische Indizes und Indizes mit Fokus auf ESG-Kriterien. Wir reagieren aber nicht nur schnell auf Kundenwünsche, sondern entwickeln auch viele eigene Ideen und Konzepte. Zusätzlich haben wir uns auch an verschiedenen Datenanbietern beteiligt, die wichtige Informationen zur Erstellung von neuen Indizes und Investmentstrategien liefern können.
Was sind die aktuellen Trends im Indexing und wie reagieren Sie?
Vor ein paar Wochen war das ziemlich klar: Themenindizes. Mit dem Bärenmarkt jetzt hat sich das wie üblich wieder ein wenig geändert. Jetzt werden stärker wieder Faktorstrategien nachgefragt, Themen wie Value oder Low Volatility. Hinzu kommt, dass inzwischen für praktisch jeden Standardindex eine ESG-gefilterte Variante aufgelegt wird. Aber Themenindizes, davon bin ich überzeugt, werden längerfristig ein wesentlicher Trend bleiben. Ein Treiber dafür ist vor allem der Bedarf an nachhaltigen Anlageprodukten.
Da fällt natürlich sofort das Stichwort Greenwashing. Sind Sie als Indexanbieter davor gefeit?
Das hängt immer von der Qualität der Daten ab, die wir von Drittanbietern bekommen. Wichtig ist, dass diese nicht einfach aus den Hochglanzbroschüren der Unternehmen übernommen, sondern durch eigene Recherchen erhoben werden. Genau deshalb sind wir bei vielen Datenanbietern im ESG Bereich nicht nur Kunde, sondern auch als Investor präsent. Das sichert uns mehr Einfluss und ein besseres Verständnis der Methodik.
Themen gibt es viele, auch die sogenannten nachhaltigen. Wie finden Sie die Themen, die den besten Anlageerfolg versprechen?
Genau das ist die wichtigste Aufgabe des Researchs, das ich vertrete. Wir wollen rechtzeitig die Trends der Zukunft finden. Trends also, die noch nicht in den ETFs quasi Standards sind. So haben wir Anfang des Jahres eine Studie mit dem Titel „Future Trends“ herausgegeben, die genau dieser Frage nachgeht. Ein wichtiges Thema ist dabei Carbon Net Zero, also Kohlendioxydemissionen auf Null zu senken. Um das bis 2050 zu erreichen, sind 50 Prozent der dazu notwendigen Technologien noch nicht erfunden, geschweige denn marktreif. Es sind aber Technologien, die wir unbedingt benötigen. Also suchen wir nach Firmen, die sich mit solchen Technologien befassen und bieten Anlegerinnen und Anlegern die Möglichkeit, in einem frühen Stadium schon dabei zu sein.
Sind dann bewährte Megatrends, die ja weiterlaufen, wie Biotechnologie, Health Care oder Elektromobilität für Sie nicht mehr interessant?
Das kommt darauf an. Auch bei solchen Megatrends gibt es Entwicklungen, die noch im Verborgenen liegen oder noch nicht so richtig beachtet werden. Nehmen Sie das Beispiel Elektromobilität. Also die Aktie von Tesla ist schon sehr gut gelaufen. Aber wenn die Autohersteller verstärkt auf Elektroantriebe setzen, dann wird das nur erfolgreich, wenn es die nötige Lade-Infrastruktur gibt. Also schauen wir genau nach, wo es Firmen gibt, die dort tätig sind und die eben noch nicht entdeckt wurden. Da sehen wir dann größeres Potential.
Sie nutzen für die Identifikation solcher Firmen ein eigen entwickeltes System mit dem Namen ARTIS. Wie funktioniert das?
ARTIS wird von unserem Team in Dresden entwickelt. Das Tool screent mit Hilfe von maschinellem Lernen öffentlich im Internet verfügbare Daten wie zum Beispiel Unternehmenspublikationen. Dazu definieren wir bestimmte Schlüsselwörter, die der Algorithmus auf unser globales Aktien-Universum anwendet. So finden wir Firmen, die nahe an dem von uns vorgegebenen Thema dran sind. Da geht es dann auch um Lieferketten oder Komponenten, die nötig sind, um bestimmte Technologien voranzutreiben. So identifizieren wir in kürzester Zeit die Aktiengesellschaften, die für einen Index in Frage kommen und können die Indizes auch fortlaufend aktuell halten, indem wir auch IPOs in den relevanten Bereichen schnell auf dem Schirm haben. Mittlerweile haben wir damit schon mehr als 60 Indizes kreiert, die in vielen Fällen von ETFs getrackt werden.
Viele Asset Manager haben mit solchen Indizes Bauchschmerzen, weil sie ihnen nicht breit genug diversifiziert sind.
Zugestanden, Themen-Indizes und darauf aufgelegte ETFs sind nicht so breit diversifiziert, wie große Standardindizes. Sie haben somit ein größeres Risiko, aber eben auch größere Chancen. Aber wir halten die Diversifikationsvorgaben nach den UCITS-Regeln ein und bieten so die Grundlage für ausreichend diversifizierte ETFs.
Dann schauen wir uns mal ihr neuestes Produkt an, dass den schönen Namen Solactive Future Energy ESG Index trägt. Diesen hat die Deka vor kurzem als ETF abgebildet. Das Konzept klingt gut, scheint aber nicht revolutionär, weil es ja Fonds mit neuen Energien bereits gibt.
Unser Ansatz ist aber zielgenauer auf das schon erwähnte Thema CO2-Emissionen auf Null zu bringen ausgerichtet. Wir gehen davon aus, dass der Energiebedarf nicht nachhaltig sinken wird, weil die Menschen weiterhin die Annehmlichkeiten durch Energieverbrauch genießen wollen. Also sind neue Technologien nötig. Diese finden bei der Auswahl der Titel in den Bereichen Solar Energy, Wind Energy, Geothermal Energy, Battery & Energy Storage, Hydrogen Power sowie Energy & alternative Power Berücksichtigung. So kommen wir derzeit auf 59 Indexmitglieder, die ja schon eine gute Diversifikation bieten.
In solchen innovativen Feldern gibt es ja immer viel Bewegung. Neue Firmen entstehen, alte halten nicht, was sie versprochen haben. Wie agieren Sie, damit solche Indizes auf der Höhe der Zeit bleiben?
Genau da hilft unser ARTIS-Screening, das wir auch auf solche Firmen anwenden. So können wir neue, zukunftsträchtige Indexkandidaten finden, die in den definierten Technologien aktiv sind oder werden. Natürlich können auch mal neue Technologiefelder entstehen. Dann kann auch das Indexregelwerk angepasst werden. Dies geschieht im Rahmen der Indexregulierung und folgt einem klar definierten Prozess, der sicherstellt, dass das Anlageziel des Index nicht geändert wird. Die Zusammensetzung des Index wird regelmäßig alle sechs Monate im Februar und August entsprechend den Indexregeln überprüft und angepasst.
Der neue Index legt den Fokus vom Thema her auf Klimawandel und Energie. Was bringt da eine zusätzliche ESG-Filterung?
Ich denke, ESG-Filter werden zum Standard, wenn man den Anspruch der Nachhaltigkeit hat. Damit schließen wir bestimmte Aktivitäten aus. Also eine Firma, die zwar bei den erwähnten grundsätzlich nachhaltig orientierten Technologien unterwegs ist, aber noch andere, nicht nachhaltige Aktivitäten betreibt und ein schlechtes ESG-Rating hätte, würde durch den Filter aussortiert, so dass die klare ESG-Ausrichtung des Index erhalten bleibt.
Bei neuen Indizes gibt es immer einen Backtest, auch bei Ihnen. Der zeigt, dass sich der Index in der Vergangenheit nicht in allen Phasen besser als der Markt entwickelt hat. Warum sollte sich eine Investition lohnen?
Ich glaube, dass ein Backtest für diese Art von Index nicht sehr aussagekräftig ist. Wir setzen ja gerade auf Technologien, die oft erst in der Zukunft volle Kraft entfalten werden. Gelingt dies, wird dies positiv auf die Performance wirken. Das ist die Chance. Aber klar ist, dass sich ein solcher Index einem Bärenmarkt nicht entziehen kann, auch wenn der Backtest in diesem Fall zeigt, dass er etwas mehr Stabilität als der Durchschnitt verspricht.
Welche weiteren Entwicklungen sehen Sie beim Indexing in den nächsten Jahren?
Ich glaube, dass sich die Nachfrage generell weiter individualisiert. Die Standardindizes, die den Anspruch haben, das Marktgeschehen breit abzudecken, sozusagen allen gerecht zu werden, decken schon fast alles ab. Da sollten wir nicht mehr so viel Neues sehen. Investieren wird individueller, auch und vor allem bei Zukunftsthemen.