Interview
„Auf die richtigen Themen setzen“
Michael Winker ist Direktor Portfolio Management und Head of ETF Investments der FERI Trust GmbH, die zur FERI Gruppe in Bad Homburg gehört. Er berichtet über seine Erfahrungen mit Faktor- und Themenstrategien im Ausnahmejahr der Corona-Pandemie und gibt einen Ausblick auf 2021.
Sie waren ja einer der ersten, der sich intensiv mit Faktor-Investing und ETFs beschäftigt hat. Wie hat sich diese Strategie in den vergangen vier Jahren und vor allem in der Corona-Krise geschlagen?
Wir hatten schon vor Corona unsere Schwierigkeiten mit dem Faktor-Investing, vor allem mit dem Multi-Faktor-Ansatz. Die Gesetzmäßigkeiten, die wir vorher analysiert hatten, nämlich, dass mal Value, mal Momentum, mal Small Caps laufen, dass man mit einem gut gemischten Multi-Faktor-Ansatz regelmäßig zwei Prozent Outperformance erzielen kann, sind nicht mehr eingetroffen. Wir sind dann tiefer eingestiegen und haben als wichtigsten Grund die schwache Entwicklung von Value ausgemacht. Warum liefen günstig bewertete Titel nicht mehr? Einfach deswegen, weil in den letzten Jahren Big US-Tech alles überstrahlt hat. Wer darin untergewichtet war, konnte keinen Blumentopf gewinnen. Und in Indizes mit Value oder Small Caps waren sie untergewichtet.
Und wie haben Sie reagiert?
Wenn sich der Markt ändert, wenn sich Paradigmen ändern, muss man reagieren. Man muss dort investiert sein, wo die Musik spielt. Entsprechend haben wir stärker auf Themen und auf Momentum gesetzt. Dann kam die Corona-Pandemie, und die war ein weiterer Paradigmenwechsel. Die Frage lautete: Welche Branchen leiden, welche profitieren? Wie verändert sich das Verhalten der Konsumenten? Da waren Themen wie Informationstechnologie und Digitalisierung gefragt. Dort sind wir nach dem März-Crash großflächig eingestiegen und haben so die starke Performance 2020 weitgehend mitgenommen. Ich hätte nie gedacht, dass wir am Ende ein so gutes Ergebnis in den Portfolios erreichen würden.
Spezielle Themen wie Robotics oder Cloud Computing sind noch besser gelaufen, und auch dafür gab es ja schon ETFs.
In der Tat sind wir schrittweise immer granularer vorgegangen. Wir haben klar erkannt, wenn alle im Homeoffice arbeiten, wenn Meetings nur noch digital möglich und sicher sein sollen, dass dann zum Beispiel Cyber Security gefragt ist. Dazu kamen Themen wie künstliche Intelligenz, autonomes Fahren oder alternative Energien, die alle hervorragend gelaufen sind. Da waren wir ebenfalls teilweise dabei.
Sind das nicht bereits Übertreibungen?
In der Tat erscheinen uns inzwischen einige Segmente überteuert, so dass wir vorsichtiger geworden sind. Zudem hat uns auch unser Nachhaltigkeitsansatz geholfen. Schon vor Corona haben wir die Portfolios nach ESG und SRI, also nach Kriterien wie Environment, Social und Governance sowie strenger nach Social Responsibility gefiltert. Das hat uns zu einem gewissen Grad vor Übertreibungen nach dem Corona-Crash geschützt.
Beißt sich dieser Nachhaltigkeitsansatz nicht mit einer Themenstrategie? Standard-ETFs gibt es mit Nachhaltigkeitsfilter, Themen-ETFs jedoch praktisch nicht.
Wir haben ein eigenes Nachhaltigkeitsscreening implementiert. Die üblichen ESG- und SRI-ETFs erfüllen schon unsere Anforderungen. In anderen Fonds, ob aktiv oder passiv, kommt es immer auf das Screening an. Fehlende Nachhaltigkeit kann ein begrenzender Faktor sein. Wir haben sogar ein eigenes SDG-Office. Wir stellen dort die SDG, also die Sustainable Development Goals der UN, in den Vordergrund, also welche Ziele will ich mit meinem Investment erreichen. Im Zweifel lassen wir von bestimmten Fonds die Finger. Aber wir können so die Gesamtheit unserer Portfolios mit dem Anspruch der Nachhaltigkeit darstellen. Das ist uns eine Verpflichtung gegenüber den Kunden.
Als die ersten Dividendenkürzungen angekündigt wurden, haben wir blitzschnell reagiert und uns von den Dividenden-ETFs weitgehend getrennt. Das war rückblickend auch genau richtig.
Sie haben früher immer gerne die Bedeutung von Dividenden für die Performance betont, und Dividenden-ETFs ins Portfolio genommen. Die sind als Teil von Value-Investing schon vor Corona nicht so gut gelaufen, wurden dann in der Corona-Krise noch mehr geprügelt. Auch ein Paradigmenwechsel?
Unbedingt. Als die ersten Dividendenkürzungen angekündigt wurden, haben wir blitzschnell reagiert und uns von den Dividenden-ETFs weitgehend getrennt. Das war rückblickend auch genau richtig, denn diese Fonds sind bis zu fünfzig Prozent eingebrochen und haben sich bis jetzt überhaupt nicht erholt. Sie stabilisieren sich nun auf niedrigem Niveau. Dennoch sehen wir dort noch keine Opportunität. Aber die wird wiederkommen. Davon bin ich überzeugt.
Auf jeden Fall konnten Sie mit ETFs in der Krise schnell reagieren. Wie haben Sie den Handel erlebt? War der wirklich reibungslos?
Nun ja, natürlich sind die Spreads in der Krise ausgeweitet worden. Das ist normal. Aber wir konnten immer gut handeln, vor allem verkaufen, wenn wir wollten. Liquidität war da. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir Corporate Bond ETFs handeln wollten, an sich ja ein liquider Markt. Die Spreads lagen teilweise bei einem Prozent, was für Anleihen enorm ist und ein Handeln in einer solchen Situation kaum sinnvoll erscheinen lässt. Aber wenn man raus wollte, kam man raus. Das Underlying war ohne ETFs erst recht nicht handelbar, was auch in dieser Krise wieder den Vorteil von ETFs bewiesen hat.
Sie haben 2020 schon als hervorragendes Anlagejahr bezeichnet. Wie hat man sich das in Zahlen vorzustellen?
Wir haben Dachfondskonzepte, die das Jahr mit bis zu 18 Prozent Plus abgeschlossen haben. In unseren breiten Portfolios, von gemischt bis zu reinen Aktiendepots, waren es zwischen fünf und 15 Prozent. Zugegeben, dazu haben auch unsere Volatilitätsstrategien zum rechten Zeitpunkt beigetragen.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir sind mit einer erhöhten Aktienquote aus dem Jahr 2020 gegangen. Jetzt sind wir der Meinung, dass man vorsichtiger sein muss. Die meisten Treiber wie ein baldiges Pandemieende, Konjunkturerholung und Gewinnstabilisierung sollten in den Kursen enthalten sein. Wir wissen, dass die massive Expansionspolitik der Notenbanken weiterlaufen wird, wir wissen, dass der neue Präsident Biden ein massives Stimulierungspaket von zwei Billionen Dollar auf den Weg bringen wird. Wenn eine starke Konjunktur kommt, sollten zyklische Werte wieder gefragt sein. Auch zurückgebliebene Branchen wie der Energiesektor, Basisgüter oder Versorger sollten wiederkommen. Einzelne Biotech-Unternehmen sind sehr überteuert. Aber wir haben gesehen, wie gut Big Pharma in der Krise gehandelt hat. Auch in diesem Bereich ist noch mehr zu erwarten. Small Caps sind definitiv weiter ein Thema. Wir schauen uns in den Regionen und Ländern um. Asien bleibt interessant, vor allem in der zweiten Reihe hinter China. Im Kommen ist zum Beispiel Vietnam, das von der Erholung überdurchschnittlich profitieren sollte.
Können Sie das alles mit ETFs abdecken? Der intensive Wettbewerb sorgt für immer mehr Granularität, wie Sie es nennen. Spielen dann die aktiven Fonds bei Ihnen eine untergeordnete Rolle?
Nein, ganz und gar nicht. Wir haben sehr gute Selektionsexperten, die uns beispielsweise im Bereich der Micro Caps sensationelle Ergebnisse gebracht haben. Auf solche Top-Ideen verzichten wir natürlich nicht. Die richtige Mischung zwischen aktivem und passivem Investment bringt letztlich den Erfolg.