Interview
„Risikoprämien steigern die Rendite“
Buy & Hold sowie Faktorinvesting sind zwei der wichtigsten Merkmale im Investment-ansatz der Gerd Kommer Invest GmbH, München. Dr. Gerd Kommer erläutert, wie er seine Strategien mit Indexfonds umsetzt.
Was ist die Philosophie Ihrer Finanzberatung und Vermögensverwaltung? Wie unterscheiden Sie sich von anderen?
Ich möchte zunächst gerne zwei Punkte hervorheben. Erstens sind wir unabhängig. Wir haben keine Interessenkonflikte. Zweitens, verfolgen wir einen streng wissenschaftlichen Investmentansatz. Wir unternehmen nichts, was nicht solide wissenschaftlich fundiert und als Erkenntnis öffentlich zugänglich ist, also keine eigenen Algorithmen, die „wissenschaftlich” abgeleitet sein mögen, aber für Mandanten nicht durchschaubar sind.
Nun ja, auch die fundierte Wissenschaft ist ein ziemlich weites Feld. Auch dort wird über Theorien und Hypothesen gestritten. Was ist aus Ihrer Sicht wissenschaftlich gesichert?
Im Grunde sind es recht einfache Erkenntnisse, die in den letzten rund 60 Jahren immer wieder bestätigt wurden und sich damit bewährt haben. Ich denke an die Theorie der Informationseffizienz der Kapitalmärkte oder an die Random-Walk-Theorie, wonach Aktienkurse kurz- oder mittelfristig nicht zuverlässig vorhersagbar sind, sondern sich rein zufällig verhalten. Ferner orientieren wir uns bei Aktien an der in der Wissenschaft aus meiner Sicht unstrittigen Feststellung, dass Einzelwertrisiko zu tragen kontraproduktiv ist. Wer es tut, holt ex ante dadurch zusätzliche Risiken in sein Portfolio, hat aber keine zusätzlichen erwarteten Erträge. Durch rigorosen Verzicht auf Einzelwerte mindere ich also das Risiko ohne Verlust an erwarteter Rendite.
Wie setzen Sie das um? Der übliche Ansatz heißt ja möglichst breite Diversifikation.
Wir teilen ein Portfolio in einen risikobehafteten und einen risikoarmen Teil auf. Letzter ist der Risikoanker, der der Sicherheit des Gesamtportfolios dient. Der risikobehaftete Teil besteht primär aus Aktien und zu einem kleinen Teil aus Schwellenländerstaatsanleihen. An den geregelten Börsensegmenten weltweit sind rund 10.000 Aktien notiert. Wir wollen davon 4.000 oder 5.000 im Portfolio haben. Globale Diversifikation ist Trumpf. Zusätzlich nutzen wir im Aktienteil eine Übergewichtung von sogenannten Faktorprämien, bestimmte Merkmale von Aktien, die einen strukturellen Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko darstellen, beispielsweise die berühmten Value- oder Small-Cap-Effekte. Solche Merkmale lassen sich statistisch zu sehr geringen Kosten herausfiltern und bieten etwas höhere Renditeerwartungen als der allgemeine Markt. Dabei wollen wir generell preiswerter sein, als die Masse der bankenabhängigen und -unabhängigen Vermögensverwaltungen.
Solch breite Diversifikation erreichen Sie ja kostengünstig nur mit Hilfe von ETFs. Oder nutzen Sie auf Kundenwunsch auch Einzeltitel?
Wir verwenden ausschließlich Indexfonds, und den Begriff nutze ich jetzt bewusst, weil es ja nicht nur börsengehandelte Indexfonds gibt, also ETFs, sondern auch nicht-börsennotierte Indexfonds. Diese sind in Deutschland in der Regel nicht für Retail-Investoren direkt erhältlich, aber für uns als institutioneller Vermögensverwalter. Natürlich kann ich theoretisch diese globale Diversifikation auch mit einer sehr großen Zahl von Einzelwerten darstellen. Das wäre aber nicht kosteneffizient. Das gilt für den Aktien- und letztlich auch für den Anleiheteil.
Brechen wir die Diversifikation weiter herunter. Wie gewichten Sie Regionen, Länder, Branchen und Faktoren?
Wir setzen bei Aktien zunächst bei der üblichen Gewichtung nach Marktkapitalisierung an, aber wir haben die relative Wirtschaftskraft der wesentlichen internationalen Marktregionen im Blick, die in ihrem Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt zum Ausdruck kommt. So reduzieren wir den Anteil der USA im risikobehafteten Teil des Portfolios auf etwa 30 Prozent, was ungefähr deren Anteil am Welt-BIP entspricht, und erhöhen im Gegenzug das Gewicht von Schwellenländern. Die machen dann 20 bis 40 Prozent im risikobehafteten Teil des Portfolios aus – wiederum eine Reflektion der realwirtschaftlichen Verhältnisse. Innerhalb der Regionen und Länder gehen wir dann wieder nach der Marktkapitalisierung vor.
Bleibt die Allokation für den Kunden stabil oder passen Sie je nach Marktsituation an? Das wäre dann eine zusätzliche aktive Risikosteuerung.
Diese Art von Risikokontrolle, Timing nach wahrgenommener oder erwarteter Marktentwicklung, machen wir nicht, weil wir davon überzeugt sind, dass sie per saldo mehr Schaden stiftet als Nutzen bringt. Unser Ansatz ist der einer, wenn man so will, statischen Asset Allocation, die wir für jeden Mandanten in einem strukturierten Prozess entwickeln. Die bleibt bestehen, solange sich die Risikotoleranz des Kunden nicht ändert. Einmal im Jahr oder eventuell anlassbezogen wird das zusammen mit dem Mandanten geprüft. Wenn sich bei ihm nichts geändert hat, bleibt auch die Allokation. Natürlich betreiben wir Rebalancing, um je nach Marktentwicklung das Portfolio regelmäßig auf die Ausgangsallokation zurückzustellen. Das ist eine Art Risikokontrolle und kann sogar die Rendite zusätzlich verbessern.
Halten das Ihre Kunden aus, wenn es heftige Draw-downs gibt?
Wir erwarten, dass der Mandant langfristig agiert und auch Marktkrisen durchhalten kann und das wird schon in der Akquise und nochmal deutlicher bei der Portfoliostrukturierung „brutal offen” an den Mandanten kommuniziert. Wie erwähnt, gibt es einen risikoarmen Anteil, der als Puffer wirkt und das Gesamtportfolio ist so strukturiert, dass es eigentlich keinen Drawdown geben kann, den der Mandant nicht aushalten kann. Wenn der Aktienmarkt einbricht, sprechen wir natürlich mit dem Mandanten, analysieren die Gründe und versuchen ihn bei der Stange zu halten. Wenn der Mandant trotzdem anpassen will, hat sich seine Risikotoleranz geändert. Dann würden wir natürlich dem Kundenwunsch entsprechen. Aber das ist in den letzten knapp drei Jahren seit wir im Geschäft sind noch nicht vorgekommen.
Wie wählen Sie die Indexfonds aus? Welche Rolle spielt die Replikationsmethode?
Wir beschränken uns auf Indexfonds mit physischer Abbildung, entweder vollständig oder optimiert bei besonders breiten Indizes. Wir verwenden keine synthetischen und swapbasierten ETFs. Da besteht für den Mandanten ein kleines Zusatzrisiko, das durch eine möglicherweise etwas höhere Nettorendite nach unserer Einschätzung typischerweise nicht gerechtfertigt ist.
Dann schließen Sie Rohstoffe als Anlageklasse aus. Denn die können Sie nur synthetisch abbilden.
Wir haben in der Tat keine Rohstoffe im Portfolio, was ja de facto Rohstoff-Futures sind. In Rohstoffe kann man als Privatanleger direkt gar nicht investieren. Aber für unsere Nichtberücksichtigung von Rohstoffen ist nicht die ETF-Replikationsmethode ursächlich, sondern wir halten Rohstoffe als Anlageklasse generell nicht für ausreichend attraktiv. Natürlich haben wir Rohstoffaktien im Portfolio, soweit sie in den allgemeinen Indizes enthalten sind. Branchen- oder Sektor-Picking – das noch zu Ihrer früheren Frage – halten wir ebenfalls nicht für sinnvoll.
Noch mal genauer zu den Kosten. Wie wichtig ist dieses Kriterium für die ETF-Auswahl? Sie wollen ja ein besonders kostengünstiger Anbieter sein.
Wir sprechen hier von Kosten auf zwei Ebenen, einmal unsere Kosten als Vermögensverwalter und dann die Kosten auf der Produktebene. Wir wollen ja, wie gesagt, die Konkurrenz, also Banken und etablierte Vermögensverwalter, kostenmäßig deutlich unterbieten – unser Ziel ist um 50 Prozent. Das gelingt uns auch regelmäßig, weil unser gesamtes Geschäftsmodell, unser Investmentansatz und unsere Prozesse darauf hin ausgerichtet sind. Übrigens gibt es bei uns auch keine Performance-Fee. Auf der Umsetzungsebene hilft es, dass wir eine konsequente „Buy & Hold-Veranstaltung" sind und mithin kaum Transaktionskosten anfallen. Zur Produktebene: Indexfonds sind generell die günstigste Form breit diversifiziert zu investieren. Die Kostenunterschiede zwischen den für uns relevanten Indexfonds sind eher gering, aber manchmal kann man bei der Auswahl noch ein paar Basispunkte Vorteil herausholen.
Wie messen Sie die Abbildungsqualität von Indexfonds?
Das ist ein vielstufiger Prozess. Der beginnt immer mit der Frage welche Assetklassen wir abbilden wollen und welche Faktorprämien wir in den Blick nehmen. Da schrumpft das Feld der möglichen Indexfonds schnell zusammen, so dass letztlich nur ein paar übrigbleiben. Neben geringen Kosten achten wir zum Beispiel auf die Größe: Sie sollte nicht kleiner als 10 bis 20 Millionen Euro Volumen sein, um ausreichend Trading-Liquidität zu gewährleisten und um ein mögliches Schließungsrisiko zu minimieren.
Schauen Sie nicht auf die Tracking Difference, die ja die Performance-Unterschiede zwischen den Fonds anzeigt?
Die ist für uns im Allgemeinen kein zentrales Kriterium, weil wir eben nicht auf die großen bekannten Standardindizes setzen. Das ist für den normalen passiven Do-it-yourself-Anleger natürlich wichtig. In unserem Fall steht hingegen ein insgesamt effizientes „Ernten” von Faktorprämien im Vordergrund.
Wie gehen Sie beim Faktor Investing vor? Es gibt ja inzwischen eine ganze Reihe von Merkmalen, die Faktorprämien generieren können.
Ja, je nach Zählweise sogar mehrere Hundert und da gibt es viele Überschneidungen. Uns erscheinen am interessantesten die Faktoren Size, Value, Quality (auch Profitability genannt). In abgeschwächter Form berücksichtigen wir auch Momentum. Wir übergewichten ferner politisches Risiko, also Schwellenländermärkte. Aus meiner Sicht ist politisches Risiko eine Faktorprämie, auch wenn sie in der Literatur gemeinhin nicht als solche bezeichnet wird. Faktorprämien sind immer auch Risikoprämien. Sinn und Zweck von Faktorprämien ist schlussendlich Renditesteigerung. Das gelingt natürlich nicht in jedem Jahr, ist aber langfristig reizvoll.
Wie hat dieser Ansatz in den letzten Jahren funktioniert? Wenn Sie damit zwei Prozent mehr Rendite einkassieren, der Markt aber insgesamt schwach ist, bleibt nur ein kleiner Trost.
Faktor Investing im Risikoteil unserer Portfolios hat in den letzten fünf bis zehn Jahren alles in allem gegenüber marktneutralem, passivem Investieren keine Mehrrendite produziert. Das muss man klar sagen. Vor allem Value und Political Risk haben enttäuscht, Size war besser. Solche Durststrecken sind insgesamt normal. Dieser Ansatz ist denn auch nur für Buy & Hold über mehr als zehn Jahre hinweg geeignet. Ich bin überzeugt, dass er sich auch in Zukunft langfristig auszahlen wird, genauso wie zum Beispiel in den 30 Jahren bis zur Finanzkrise. Unser Ansatz lebt aber nicht nur davon, Faktorprämien effizient zu vereinnahmen, sondern den Rendite-Risiko-Trade-Off langfristig auf Mandantenebene zu optimieren, und das hat viel mit Disziplin, klugen Prozessen, gnadenlos ehrlicher Kommunikation und natürlich mit der Vermeidung von Interessenkonflikten zu tun.
Wie sehen Sie die Zukunft der Indexfonds? Wie stellen Sie sich auf, auch im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit?
Generell werden die Indexfonds einschließlich ETFs absolut und relativ weiter wachsen und preisgünstiger werden. Von dem Margendruck in der Indexfondswelt profitieren wir als Anwender. Auch die jetzt schon hohe Produktvielfalt wird, glaube ich, noch weiter zunehmen. Wir hätten gern noch Indexfonds auf so genannte Cat-Bonds, also „Katastrophenanleihen“, die von großen Versicherungsgesellschaften emittiert werden. Die sind nur gering zur Konjunktur und den allgemeinen Kapitalmärkten korreliert. Das macht sie als Beimischung attraktiv. Das Thema Nachhaltigkeit wird zweifellos für Privatanleger immer wichtiger. Das haben wir im Blick, auch wenn es derzeit noch kein Schwerpunkt bei uns ist. Ich denke, dass wir auf längere Sicht sogar Faktor Investing und Nachhaltigkeit kombinieren können.