Interview
„Nachhaltigkeit ist ein starker Trend“
MSCI betreibt das Indexgeschäft seit 50 Jahren. Marc Haede, Executive Director und für Client Coverage in der DACH Region Deutschland zuständig, erläutert die Entwicklung und ihre Auswirkungen auf das ETF-Wachstum.
MSCI hat 1969 den ersten Index lizensiert. Was hat das Geschäft in diesen 50 Jahren so enorm vorangetrieben?
Das war zunächst die zunehmende Nachfrage nach Fondslösungen bei institutionellen und später auch privaten Anlegern. Dazu benötigt man Benchmarks, also Referenzindizes. Hinzu kam Ende der neunziger Jahre der Trend zum passiven Investieren mit den ETFs, die einen kostengünstigen Zugang zu ganzen Märkten ermöglichen. Damit verbunden war die Globalisierung der Kapitalanlage, die Abkehr der institutionellen Investoren von lokalen Anlageentscheidungen hin zu globalen. Gefragt waren mithin globale Indizes wie der MSCI World oder der MSCI All Countries World, der auch Emerging Markets umfasst. Dann wurde das Investieren in Faktor-Strategien populär, um zum Beispiel mit Dividenden, Value oder Momentum Zusatzrenditen zu erwirtschaften. Der jüngste Trend ist nachhaltiges Investieren unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien – Environmental, Social und Governance. Für all diese Anforderungen bieten wir die nötigen Indizes.
MSCI ist zwar Marktführer. Aber es gibt viele Konkurrenten. Was können Sie denn besser als andere?
Lassen Sie mich zunächst darauf hinweisen, dass ein Indexanbieter eine nicht zu unterschätzende Verantwortung gegenüber dem Anleger trägt, egal ob dies ein großer Pensionsfonds oder ein Privatinvestor ist. Wichtig ist deshalb, dass die Indizes objektiv, transparent, fair und replizierbar sind. Das schafft Vertrauen und hilft die Handelskosten bei der Replikation gering zu halten. Darüber hinaus können wir dem Kunden für seine Anlageentscheidung ein Angebot aus einer Hand machen. So haben wir 2004 mit Barra, dem Pionier der Portfolioanalyse, unser Indexgeschäft komplettiert. Durch den Erwerb weiterer Firmen haben wir uns ab 2010 als ein führendes Haus für ESG-Research etabliert. Unsere Kunden schätzen es, dass sie auf all diese Ressourcen unter einer einzigen Adresse zugreifen können.
Was macht einen guten Index aus? Können sie die von Ihnen genannten Kriterien noch näher erläutern?
Ein guter Index bildet einen Markt oder ein Marktsegment korrekt, akkurat ab und ist dabei, wie gesagt objektiv, transparent, fair und replizierbar. Beginnen wir mit der Replizierbarkeit. Es muss gewährleistet sein, dass zum Beispiel ein Portfolio Manager eine Aktie im Index in der Realität auch im gleichen Maße kaufen kann. Denken Sie nur an die China-A-Aktien, die ja früher nur für die inländischen Investoren zu erwerben waren. Nachdem dieser Markt geöffnet wurde, fügen wir je nach Liquidität solche Aktien unseren China- und Emerging Markets-Indizes vorsichtig hinzu.
Wofür steht dann transparent, fair und objektiv?
Transparent bedeutet, dass die komplette Indexmethodik für jedermann zugänglich und nachvollziehbar sein muss. Objektiv bezieht sich auf die Gewichtung. Wir richten alles in der Regel nach der free-float-gewichteten Marktkapitalisierung aus. Der Index sollte keine Lücken und Redundanzen zu angrenzenden Märkten aufweisen, so dass die Investoren die MSCI-Indizes nach dem Baukastenprinzip verwenden können. Hinzu kommt, dass der Index höchsten Ansprüchen an Genauigkeit, Zuverlässigkeit und vor allem pünktliche und präzise Einarbeitung von Kapitalmaßnahmen gerecht wird. Unser Leitmotiv „Powering better investment decisions“ ist mehr als ein Werbeslogan, sondern die tägliche Arbeit mit unseren Kunden.
Mit ETFs können Märkte physisch oder synthetisch nachgebildet werden. Oft heißt es, swapbasierte ETFs seien im Vorteil, weil eben nicht jedes Underlying so einfach zu kaufen sei. Gilt das auch für Ihre Indizes?
Ein klares Nein. Unsere Indizes sind immer replizierbar, sie können also immer physisch nachgebildet werden. Die Entscheidung für eine synthetische Nachbildung liegt immer beim ETF-Anbieter, zum Beispiel wenn er glaubt, so kostengünstiger arbeiten zu können. Sie ergibt sich nicht zwingend aus unserer Indexmethodik.
Die meisten ETFs beziehen sich auf Standardindizes. Doch seit einigen Jahren gibt es verstärkt Strategie-ETFs, auch als Smart Beta oder Faktorinvestment bekannt. Wie stellt sich das bei Ihnen dar?
Die Nachfrage nach solchen Faktorstrategien ist in der Tat stark gewachsen, insbesondere im institutionellen Bereich. Das ist keine Randerscheinung mehr. Anleger streben nach Zusatzrenditen, wenn möglich ohne die Übernahme eines zusätzlichen Risikos – und genau das ist es, was zumindest in der langfristigen Historie die meisten Faktoren ermöglicht haben. Wir haben die Grundlage für Faktorindizes 2004 mit der schon erwähnten Übernahme der Firma Barra gelegt, die als Pionier von Faktormodellen gilt. Einer unserer ersten und mittlerweile erfolgreichsten Faktorindizes feierte vergangenes Jahr bereits seinen zehnjährigen Geburtstag: der MSCI Minimum Volatility Index. Mit ihm haben die Anleger die Möglichkeit sich mit einem Viertel weniger Risiko an den Weltaktienmärkten zu engagieren.
Wie kommen Sie zu neuen Indizes? Durch die Kundennachfrage oder aus eigenem Antrieb heraus?
Beides ist möglich. Dazu müssen wir zwischen Standardindizes und Custom-Indizes unterscheiden. Neue Standardindizes werden aus dem Dialog mit den Kunden und der Beobachtung des Marktumfeldes entwickelt. Dabei führen wir in der Regel eine breit angelegte Konsultation mit den größten institutionellen Kunden durch. So stellen wir sicher, dass unser Research und unsere Produktentwickler die spezifischen Anforderungen der Kunden im Auge behalten. Am Ende kann es dann eine neue Methodik geben, die eine neue Indexfamilie bildet und auf eine Vielzahl von Regionen, Ländern oder Branchen angewendet wird. Für einzelne kundenspezifische Anforderungen berechnen wir 8000 Indizes, zum Beispiel mit bestimmten Gewichtungsgrenzen, Währungsabsicherungen oder Nachhaltigkeitsfiltern.
Alle reden über Nachhaltigkeit oder ESG. Ist das wirklich schon ein großer Trend?
Eindeutig ja. Bei uns wachsen die Asset under Management in diesem Bereich mindestens doppelt so stark wie für den Gesamtmarkt. Wenn ich vor zehn Jahren das Thema ESG mit Kunden angesprochen habe, dann haben neun von zehn abgewinkt. Heute ist es umgekehrt. Dieser Trend wird durch Politik, Regulierung und die öffentliche Wahrnehmung unterstützt. MSCI hat stark in diesen Bereich investiert. Wir beschäftigen mehr als 200 Analysten, die das Verhalten von 7000 Firmen im Hinblick auf ESG-Kriterien untersuchen. Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass diese Analysten vor Ort sitzen. Um ein chinesisches Unternehmen richtig einzuschätzen, muss man eben in Peking, Shanghai oder mindestens in Hongkong vertreten sein. Damit können wir für alle großen Indizes eine ESG-Variante bieten.
Sind ESG-Indizes profitabler als Standardindizes?
Damit hat sich unsere Abteilung Applied Research befasst. Sie hat 2000 Studien ausgewertet und eigene Untersuchungen zu den Renditetreibern angestellt. Das Ergebnis ist, dass ESG keinen Renditenachteil im Vergleich zum Gesamtmarkt aufweist. Firmen mit hohem ESG-Rating zeigten im Durchschnitt zudem geringere aktienspezifische Risiken, vermieden größere Draw-downs und boten so eine „Risiko-Vermeidungsprämie“.
Wie schätzen Sie das weitere Wachstum des ETF-Markts ein? Und was wird MSCI bieten?
Wir gehen davon aus, dass der ETF-Markt weiterhin wachsen wird. Im April 2019 waren knapp 820 Milliarden US-Dollar in ETFs basierend auf MSCI-Indizes investiert. Richten wir den Blick nur mal auf Deutschland: Sparpläne mit ETFs und Einbindung in Versicherungsprodukte sind erst am Anfang und werden in den nächsten Jahren an Assets gewinnen. Gemäß unserem Wahlspruch, bessere Anlageentscheidungen zu ermöglichen, wollen wir unseren Kunden ein verlässlicher Partner für Investitionen in globale Märkte, Faktoren und Nachhaltigkeit sein. Wir investieren in neue Software, neue Büros und zusätzliche Mitarbeiter. Schon in Kürze werden wir die unterschiedlichen Angebote von MSCI auf einer einzigen, offenen und benutzerfreundlichen Plattform zugänglich machen. Dann können Kunden all unsere Daten und ihre eigenen Daten zusammenführen und effizient nutzen.