Interview
„ETFs sind gut für die Aktienkultur“
Das Deutsche Aktieninstitut vertritt die Interessen von kapitalmarktorientierten Unternehmen, Banken, Börsen und Investoren. Ihm liegt besonders die Förderung von Aktienkultur am Herzen. Dr. Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer des Aktieninstituts, erläutert, welche Rolle dabei ETFs spielen können.
Die Aktienkultur in Deutschland gilt als unterentwickelt. Hat sich das mit der zurzeit extrem niedrigen Rendite von Zinsanlagen geändert?
Nicht wesentlich. Die Zahl der Aktionäre ist im Vergleich zu anderen Ländern weiterhin sehr niedrig. Nur 8,5 Prozent des Geldvermögens sind in Deutschland in Aktien oder Aktienfonds angelegt. Vor allem Anleger außerhalb der sehr hohen Einkommensklassen meiden Aktien. Die Aktienkultur ist weiterhin verbesserungsbedürftig. Das ist bedauerlich, denn der Vermögensaufbau zur Sicherung des Lebensstandards, nicht nur im Alter, wird immer wichtiger.
Welche Bedeutung hat dafür das Fondsgeschäft, für das ja kräftig in den Medien geworben wird?
Aktienfonds sind eine hervorragende Möglichkeit, sich schon mit relativ geringen Beträgen breit gestreut am Aktienmarkt zu engagieren. Für ein ausreichend breit gestreutes Depot von acht bis zehn verschiedenen Aktien braucht man schon einen fünfstelligen Anlagebetrag; den hat leider nicht jeder. Mit einem Fonds investiert man aber gleich in Hunderte von Aktiengesellschaften, was die Sicherheit des Portfolios gegenüber einzelnen Unternehmensrisiken beachtlich erhöht.
Das gilt ja auch für ETFs, für börsengehandelte Indexfonds. Die sind seit ihrer Einführung in Deutschland im Jahre 2000 außerordentlich erfolgreich, zunächst bei den institutionellen Investoren, aber inzwischen auch bei den Privatanlegern. Wie erklären Sie diesen Erfolg?
Ich denke, es sind vor allem zwei Faktoren erfolgsentscheidend: die Einfachheit der Produkte und ihre geringen Kosten. Die Indexkonzepte bieten eine breite Streuung und sind am Markt einfach nachzuverfolgen. Sie sind günstig, weil sie kein aktives Management bezahlen müssen. Für viele Anleger ist auch wichtig, dass sie die Fonds jederzeit über die Börse kaufen und verkaufen können. Das kommt dem Trend zum Selbstentscheiden entgegen.
Manche dieser Punkte, die eigentlich als Vorteile gelten, werden in letzter Zeit vermehrt kritisiert. Es heißt, dass ETFs als passive Instrumente den Markt ineffizient machen. Niemand habe mehr ein Interesse, durch gutes Research eine Überrendite zu erzielen.
Das wäre theoretisch so, wenn der Markt zum größten Teil durch ETFs abgedeckt würde. Dann wäre diese Frage aktuell. Aber dann würde es eine natürliche Gegenbewegung geben. Je mehr Anleger passiv investieren, desto mehr lohnt es sich wieder, unterbewertete Aktien zu analysieren, um Überrenditen zu erzielen. Zurzeit ist diese theoretische Gefahr überhaupt nicht aktuell, weil der Anteil der ETFs am verwalteten Vermögen weltweit gerade einmal 14 Prozent beträgt.
Eine weitere Warnung: Bei Marktstress funktioniert die Preisbildung bei ETFs nicht richtig.
Das kann ich so nicht nachvollziehen. Bei der Finanzkrise 2009 wurden zwar die Spreads, also die Spanne zwischen An- und Verkauf ausgedehnt, aber der Handel funktionierte dank der robusten Handelstechnik reibungslos. Oft wird ja gesagt, der Käufer eines herkömmlichen Aktienfonds könne seinen Fonds immer zum Nettoinventarwert (NAV) an die Fondsgesellschaft zurückgeben, was übrigens der ETF-Käufer ebenfalls kann. Doch wenn Marktstress herrscht, dann wirkt sich das auch auf das Underlying aus, also bei den Aktien. Ob der Preis dann zum NAV besser ist als der Preis, den man stattdessen an der Börse erzielen kann, ist zweifelhaft. Im Gegenteil, in fallenden Märkten wird der Preis abends zum NAV deutlich schlechter sein als morgens an der Börse. Und das Beste für den privaten Anleger ist im Regelfall ohnehin, vorübergehende Kursrückgänge auszusitzen oder gar beherzt zum Investieren zu nutzen, statt panisch Aktien oder Fondsanteile zu verkaufen.
Es heißt ja auch, dass ETFs Kurseinbrüche verstärken, weil mit dem ETF-Verkauf auch massiv die Aktien verkauft werden müssen.
Das stimmt so nicht. Denn wenn ein ETF verkauft wird, findet sich meist auch ein Käufer, so dass erst einmal überhaupt keine Aktien bewegt werden müssen. Erst später bei der Rückgabe der ETFs an die Fondsgesellschaft müssen Aktienkörbe verkauft werden. Das ist aber bei herkömmlichen Fonds nicht anders, wenn die Anleger massiv ihre Fondsanteile zurückgeben. Oft bietet ein Kurssturz auch eine Chance. Die kann man dann schneller mit ETFs nutzen und auf eine Gegenbewegung setzen. Noch einmal: Wir raten den privaten Anlegern, sich in solchen Situationen ruhig zu verhalten und nicht in Panik zu verkaufen.
Ist damit auch das Argument, ETFs würden prozyklische Bewegungen verstärken, weitgehend entkräftet?
Das sehe ich so. Massives Verkaufen oder Kaufen von Aktienkörben durch die ETF-Anbieter dürfte eher die Ausnahme sein. Dies passiert immer nur dann, wenn der Market Maker den ETF an den Emittenten zurückgibt und dafür Aktien geliefert bekommt, die er gleich wieder verkauft. In Stressphasen nehmen allerdings die Market Maker eher eine beruhigende Funktion wahr, indem sie die ETFs kursschonend über längere Zeiträume hinweg auf den eigenen Büchern halten oder direkt wieder über die Börse verkaufen. So hält sich ein verstärkender Effekt, wenn es ihn denn überhaupt gibt, doch sehr in Grenzen.
Wie groß ist die Gefahr, dass bei ETFs die Gegenpartei ausfällt? Die gibt es ja bei der Wertpapierleihe voll replizierender Fonds oder bei Swapgeschäften synthetischer Fonds.
So etwas kann natürlich immer passieren, und die Bonität einer Gegenpartei gilt es deshalb genau im Blick zu behalten. Darauf hat ja der ETF-Markt auch schon längst reagiert. Die Wertpapierleihe und die Swaps sind überwiegend zusätzlich mit Anleihekörben besichert. Und Risiken aus der Wertpapierleihe kann auch ein aktiv gemanagter Fonds haben.
Wie lautet dann Ihr Urteil nach all diesen Kritikpunkten?
ETFs sind ein zusätzliches Angebot an breite Bevölkerungsschichten, sich bei Aktien zu engagieren und Aktienrenditen zu nutzen. ETFs sind also gut für die Aktienkultur. Punktum.
Dann müsste das ja in gewisser Weise auch für die Robo-Advisor, für die Systeme digitaler Vermögensverwaltung, gelten, die überwiegend auf ETFs setzen?
Der Trend geht klar in diese Richtung. Die grundlegenden Fragestellungen bei der Anlageberatung – persönliche Umstände, Risikotragfähigkeit und Risikobereitschaft – lassen sich intelligent in Programme umsetzen. Die nachwachsende Generation ist ja ganz anders digital unterwegs, als wir älteren es sind. Wenn sie sich über Robo-Advisor mehr mit Aktien und ETFs auseinandersetzt, ist das zu begrüßen. Nur müssen für solche Konzepte wie für jede Vermögensverwaltung ordentliche Rahmenregeln gelten, was nach meinem Eindruck auch der Fall ist.
Schließlich spielt das Thema Nachhaltigkeit bei ETFs eine größer werdende Rolle. Unter dem Label ESG – Environment – Social – Governance kommen viele neue Produkte auf den Markt. Wird das die Aktienkultur fördern?
Wenn sich Anleger mit den Geschäftsmodellen der Unternehmen und deren Aktien intensiver auseinandersetzen, ist das hilfreich. Auch wird die Wahlfreiheit vergrößert. Die Betonung liegt aber auf Wahlfreiheit. Denn Tendenzen, wie wir sie in Brüssel bei den Aufsichtsbehörden sehen, dass der Privatanleger mehr oder weniger gezwungen werden soll, nur noch nachhaltig zu investieren und in der Anlageberatung sogar verpflichtend nach seiner Einstellung zur Nachhaltigkeit befragt werden muss, beurteilen wir kritisch. Der private wie auch institutionelle Anleger sollte weiterhin seine Anlagestrategie frei wählen dürfen.