Interview
„Billig ist nicht gleich besser.“
Die Crossflow Financial Advisors GmbH in München ist auf die Qualitätsanalyse und den Handel von ETFs spezialisiert. Pro Jahr werden rund zehn Milliarden Euro Volumen bewegt. Managing Partner Jürgen Fritzen erläutert die Prozesse von Beratung, Analyse und Orderabwicklung.
Ihre Kunden sind institutionelle, also Profis. ETFs gelten als transparente und einfache Produkte. Warum brauchen überwiegend professionelle Kapitalsammelstellen Ihre Hilfe?
Am Anfang waren ETFs in der Tat sehr einfach. Sie bildeten bekannte Standardindizes ab und verbanden die Vorzüge des Aktienhandels mit der Sicherheit von Fonds. Das tun sie natürlich heute auch noch, aber einfach sind sie nicht unbedingt mehr. Die Produktvielfalt hat enorm zugenommen. Die Underlyings wurden immer internationaler und oft exotischer. Das gilt für Aktien, Anleihen und Commodities. Hinzu kamen die Replikationsmethoden, volle physische Replikation, optimierte Replikation, swapbasierte Replikation. Überlagert wird das natürlich noch von den Marketingbotschaften der Anbieter. Da muss man schon sehr genau hinschauen, damit man auch exakt die Produkte kauft, die der eigenen Zielsetzung am besten entsprechen.
Viele Anbieter werben aggressiv mit den geringen Kosten und verweisen gerne dazu auf die Gesamtkostenquote, die Total Expense Ratio. Eine Irreführung?
In gewisser Weise ja. Das bietet sich ja im heftigen Wettbewerb an, vor allem für diejenigen, die neu auf den Markt kommen und sich von den etablierten Anbietern unterscheiden wollen. Seht her, heißt es dann, wir können alles genau so gut wie die Konkurrenz, nur viel günstiger. Aber das kann ein Trugschluss sein. Billig bedeutet nicht automatisch besser. Es kommt auf die Abbildungsqualität an. Wenn die Leistung günstig ist, die Qualität aber schlecht, hilft das dem Investor nicht weiter. Genau dort setzt unsere Analyse an, in der alle relevanten Faktoren für die Abbildungsqualität untersucht werden.
Das übliche Maß ist ja die Tracking Difference, der Unterschied zwischen der Entwicklung des Index und des ETFs. Also wählen Sie immer den ETF mit dem geringsten Performancenachteil oder sogar mit einer positiven Differenz?
Dieses quantitative Maß ist in der Tat ein guter Indikator zur Qualitätsbeurteilung. Die Tracking Difference lügt nicht. Egal, wie die Gebühren im ETF strukturiert sind, oder welche Replikationsmethoden angewendet werden, mit der Tracking Difference lassen sich die Fonds gut vergleichen. Allerdings ist die Berechnung dieser Kennzahl komplexer als man zunächst vermuten würde. Wie immer kommt es auf die Datenqualität an. Die richtigen Zahlen müssen in die richtige Formel damit das Ergebnis auch aussagekräftig ist und die richtigen Rückschlüsse getroffen werden können. In den Zeiten geringer oder sogar negativer Zinsen schauen institutionelle Anleger sehr genau darauf. In Basispunkten gerechnet mag der Unterschied absolut gering aussehen. Aber wenn ein Fonds eine Tracking Difference von minus zehn Basispunkte hat und ein anderer minus 50, ist das immerhin das Fünffache. Über eine längere Laufzeit ist die Wirkung nicht zu unterschätzen.
Oft wird aber die günstige Tracking Difference mit erhöhten Risiken erkauft, zum Beispiel mit Erträgen aus der Wertpapierleihe. Wie gehen Sie damit um?
Darauf weisen wir die Kunden natürlich hin. Wie bei jedem Finanzprodukt gilt: Keine Chance ohne Risiko. Jeder Kontrahent des ETF-Portfolios hat auch eine Kreditwürdigkeit. Das gilt sowohl für Swap-Partner, als auch bei der Wertpapierleihe. Spätestens seit 2008 sollten sich Anleger dieses Risikos bewusst sein. In einem weiteren Schritt muss die Qualität der Sicherheiten fortlaufend geprüft werden, denn sowohl die Sicherheiten als auch deren Qualität können sich in Krisenzeiten schnell ändern.
Gibt es bei Ihnen ein internes Ranking der Anbieter?
Nein, das haben wir nicht, aber es gibt über den quantitativen Ansatz hinaus einige Qualitätskriterien, die man in Betracht zieht. Ein paar einfache Beispiele: Hat ein Anbieter eine aufgeräumte Website, wo ist der Gerichtsstand, gibt es einen Ansprechpartner in Deutschland, welche Produktpolitik, Vertriebs- und Marketingstrategie verfolgt der Emittent?
Zu Ihrer Dienstleistung gehört auch die Analyse von Portfolios mit ETFs. Wie gehen Sie da vor?
Zunächst entscheidet der Kunde, welche Allokation er möchte und ob er diese aktiv oder passiv umsetzen will. Hat er sich für passiv entschieden, kommen wir ins Spiel. Zuerst geht es um den besten Index für seine Anlageziele. Wünscht er einen kapitalmarktgewichteten Index oder bevorzugt er Themenbereiche wie Smart Beta, Sustainability oder Factor? Zum Beispiel: Für japanische Aktien gibt es unter anderem den MSCI Japan und den Nikkei 225. Obwohl beide Indizes japanische Large Caps abbilden unterschied sich ihre Performance im Jahr 2018 um mehr als fünf Prozent. Nach der Indexentscheidung geht es darum, diese mit ETFs umzusetzen. Gibt es mehrere Fonds für einen Index, umso besser. Wir schauen auf die Tracking Difference, die Liquidität, die Spreads im Handel und auf die Qualität des Anbieters, also seine Softskills, wie das in der Branche heißt. Wir machen kein allzu vereinfachendes quantitatives Scoring mit einer vorgegebenen Gewichtung, sondern stellen uns ganz auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden ein.
Gelten dabei Faustregeln, also zum Beispiel ein möglichst breiter Index, eine möglichst hohe Liquidität, ein möglichst geringer Spread?
Nein, auch hier stimmen wir die Analyse auf die individuellen Ziele des Kunden ab. Je kürzer der Anlagehorizont, desto wichtiger sind Liquidität und Spread, je länger, desto wichtiger wird die Performance-Differenz. Bei Renten-ETFs geht es um die Rendite, Duration oder die Bonität der Wertpapiere. Einfache Faustregeln sind da zu ungenau. Der größte Fonds mit der höchsten Liquidität ist nicht unbedingt der beste, wenn es um die Abbildungsqualität geht. Zum Glück ist das ETF-Universum inzwischen so groß, dass wir ein ETF-Portfolio ziemlich genau auf die Bedürfnisse des Kunden hin zusammenstellen können.
Sie übernehmen auch die Orderausführung. Welchen Vorteil bieten Sie? Der Kunde kann ja auch selbst bei einem Market Maker oder an der Börse kaufen.
Durch die Pre-Trade-Analyse kennt der Kunde die zu erwartenden Transaktionskosten. Unser Ziel ist es, diese Kosten zu minimieren. Das schaffen wir durch die Erstellung vom Underlying abhängigen Handelsstrategien. Wir identifizieren Spreadausweitungen oder potentielle nachteilige Preisverschiebungen und vereinen die Liquidität von Angebot und Nachfrage an der Börsen mit der Preisstellung der besten OTC Market Maker zum jeweiligen ETF. Auch Market Maker haben ihre jeweiligen Spezialgebiete und ihre Preisqualität variiert je nach Assetklasse, Underlying oder ETF-Anbieter. Darüber hinaus genießen unsere Kunden die Vorteile der Anonymität und des Gesamtvolumens von Crossflow. So können wir dem Kunden bieten, dass auch kleinste Orders zu den besten Preisen abgewickelt werden. Besonders wichtig wird das in schwierigen Zeiten. Zurzeit reden ja viele vom perfekten Sturm, den sie an den Finanzenmärkten kommen sehen. Wenn dieser tatsächlich kommen sollte, ist es von Vorteil, wenn man langjährige Partner hat, die einem nicht den Schirm wegziehen, wenn es zu regnen und stürmen beginnt.
Wie gehen Sie mit Smart Beta, mit Strategie-ETFs um? Die können ja manchmal ziemlich exotisch sein. Warnen Sie Ihre Kunden davor?
Nein, im Gegenteil. Smart-Beta-ETFs erweitern das Produktangebot und geben dem Kunden die Möglichkeit, spezielle Ideen umzusetzen. Man muss nur genau wissen, wie diese Produkte funktionieren. Standardindizes gewichtet nach Marktkapitalisierung haben ihre Vor- und Nachteile, wie dies auch für Smart-Beta-ETFs mit alternativen Gewichtungskriterien gilt. Entscheidend ist zu identifizieren, in welchem Marktzyklus wir uns befinden und welcher Faktor oder welche Strategie im aktuellen und zukünftigen Marktumfeld am besten funktioniert. Mal läuft Value, mal Growth, mal Momentum besser, aber eben nicht immer.
Sie hatten gerade den perfekten Sturm angesprochen. Den hatten wir ja schon mal, in der Finanzkrise 2008. Für die ETFs brachte das den Durchbruch bei den institutionellen Investoren. Sie schätzten, dass man mit ETFs auch in schwierigen Marktphasen immer handeln konnte. Heute wird dagegen verstärkt vor ETFs als Gefahr für die Finanzstabilität gewarnt. Sie seien gefährlicher als herkömmliche Fonds, die man nur einmal am Tag handeln kann. Wie sehen Sie das?
Es überrascht mich, dass einer der größten Vorteile von ETFs, der untertägige Handel, jetzt ein Nachteil sein soll. Wenn ein Markt zur Eröffnung bei 100 steht und am Ende des Tages bei 80, dann ist es doch ein Vorteil, wenn der Anleger untertags zu 90 verkaufen kann. Im Gegenteil wird der Verkaufsdruck noch erhöht, wenn Orders nicht entzerrt werden, sondern alle zeitgleich zum NAV bei Handelsschluss abgewickelt werden müssen. Außerdem erfährt der Anleger dann erst am nächsten Tag, zu welchen Preis er gehandelt hat. Wir haben uns die Verhaltensweisen der ETFs während der Finanzkrise in den USA genau angeschaut. ETFs, so unser Fazit, waren eher ein stabilisierender Faktor. Wenn schneller verkauft werden kann, kann ebenso schnell auch wieder gekauft werden. Die Handelstechnik ist sehr robust. Einen sogenannten Redemption-Run, in dem zwangsweise Aktienkörbe massiv verkauft werden müssen, hat es bisher nicht gegeben. Ich weiß auch nicht, was die nächste Finanzkrise auslösen wird. Aber ETFs sind nur ein Wrapper, eine Hülle, in der Wertpapiere verwaltet werden. Steht es schlecht um die im ETF enthaltenen Wertpapiere, dann wird es auch dem ETF nicht gut ergehen. Aber das ausgerechnet ETFs die Finanzmarktstabilität aktuell gefährden, kann ich mir bei einem Anteil am globalen Fondsmarkt in Höhe von derzeit noch unter 14 Prozent eher nicht vorstellen.
Wie wird sich der ETF-Markt weiterentwickeln?
Das Volumen in ETFs wird weiter wachsen, davon bin ich überzeugt. Während wir auf der Anbieterseite zwar auch Konsolidierungen sehen, nutzen neue ETF-Emittenten die entstehenden Lücken und versuchen mit Nischenprodukten oder besonders günstigen Angeboten ihren Platz im Markt zu finden. Darüber hinaus hat auch die Produktqualität und Transparenz enorm zugenommen. Trotzdem muss jedem Anleger klar sein: Auch ETFs sind keine eierlegende Wollmilchsau. Wenn der dem ETF zugrundeliegende Markt oder Index fällt, dann verliert auch der ETF an Wert. ETFs eignen sich hervorragend als Bausteine zur Umsetzung einer aktiven Asset Allocation. Diese muss man allerdings auch beherrschen.
Die EU-Aufsicht denkt darüber nach, die Geldanlage stärker auf Nachhaltigkeit auszurichten. Wird das die Branche bremsen oder beflügeln?
Wir sehen ja schon jetzt, dass viele Investoren stärker auf Nachhaltigkeit setzen, und der ETF-Markt bietet dazu ja bereits eine ganze Reihe sehr transparenter Produkte. ESG, also Environment – Social – Governance als Chiffre für Nachhaltigkeit, dürfte die Angebotspalette noch mal verbreitern. Ich bin zuversichtlich, dass wir unseren Kunden auch dann dazu die passenden ETF-Portfolios zusammenstellen können.