Interview
„Mehr Volatilität, aber kein Stress“
Frank Mohr ist Head of ETF Sales Trading der Commerzbank und verantwortet damit einen der größten Market Maker Europas. Im Interview ordnet er die jüngsten Kursbewegungen ein und beurteilt neue Trends und Tendenzen.
Wir sind in einem sogenannten Sägezahnmarkt, der durch kräftige Kurschwankungen gekennzeichnet ist. Wie spiegelt sich das bei den Flows wider? Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln?
So kann man das nennen. In den ersten zwei Monaten diesen Jahres haben wir extrem volatile Märkte erlebt und entsprechend auch sehr hohe Umsätze bei den ETFs. Ein Beispiel: Im Februar gab es bei uns in einer Woche mehr als 70.000 ETF- Trades. Normalerweise bewegen sich die Umsätze bei 30.000 bis 35.000 pro Woche. Da ging es also hoch her.
Welche Trends konnten Sie ausmachen – nach Ländern, Regionen, Sektoren oder auch Smart Beta?
Die Volumina waren in den vergangenen Monaten sehr stark nachrichtengetrieben. Handelskrieg ja oder nein, um nur ein Beispiel zu nennen. Da sind Investoren zunächst lieber aus Europa raus und in die USA reingegangen, was dann nach kurzer Zeit wieder zum Teil zurückgenommen wurde. In solchen Zeiten bewegen sich die Flows am stärksten bei den großen Benchmark-Indizes. Smart Beta ist weiterhin ein Thema, aber immer noch überschaubar.
Gibt es einen stärkeren Trend zu Schwellenländern? Deren Aktienkurse haben sich ja zum Teil besser gehalten als die der großen Industrieländer?
Punktuell gab es immer wieder deutliche Bewegungen. Aber in der Masse kann man das kaum mit den großen Hauptmärkten vergleichen. Wir als Market Maker sehen ja immer beide Seiten, die der Käufer und der Verkäufer. So kann man schon festhalten, dass in der Tendenz mehr Geld von Europa in die USA geflossen ist als umgekehrt.
War das schon eine Stresssituation, was sich da in den vergangenen Monaten abgespielt hat? Oder wie wurde der Handel gemeistert?
Natürlich lieben wir als Market Maker Volatilität. Je mehr gehandelt wird, desto größer ist die Chance, Ertrag zu erzielen. Es gab eine starke Aktivität seit Jahresbeginn, aber als Stress würde ich das nicht bezeichnen. Alles hat reibungslos funktioniert. Preise wurden gestellt, die Stücke sind geliefert worden. Der ETF-Handel hat einmal mehr bewiesen, dass er reibungslos funktioniert.
Trotzdem hört man seit einigen Monaten immer wieder Warnungen vor den ETFs. Sie verstärkten die Schwankungen, sie könnten Auslöser eines neuen Crashs sein. Vereinzelt wird sogar gefordert, die Haltedauer von Fonds zwangsweise zu verlängern. Wie sehen Sie das?
Nach meiner Erfahrung ist diese Diskussion völlig überzogen. Wenn die ETFs so gefährlich wären, müsste man auch gleich die Futures verbieten. Damit agieren die Investoren ja ähnlich, und meist sogar mit Hebelwirkung. ETFs sind eine Vereinfachung, mit der sich Allokationen schnell anpassen lassen. Das geschieht heute mit ETFs weitgehend automatisiert und mit einem Wertpapier. Früher gab es ebenso diese Veränderungen, aber da mussten die Kunden mit 30 oder 50 Aktien Basket-Trading machen. Das läuft jetzt reibungsloser. Natürlich kann diese Vereinfachung auch zeitweise zu mehr Volatilität führen. Aber das ist für die robuste Handelstechnik mit ETFs kein Problem und dürfte kaum der Auslöser für einen Crash sein. Begrenzung des Handels durch erzwungene längere Haltedauer wäre nicht hilfreich, ja sogar kontraproduktiv, weil die Liquidität verknappt würde. Ich stelle fest, dass Liquidität inzwischen auf vielen Konferenzen ein großes Thema ist. Danach wird immer wieder gefragt. Da muss man einiges erklären, aber genau die hohe Liquidität zeichnet den ETF-Handel aus.
ETFs sind ja dem Namen nach börsengehandelte Produkte, aber es dominiert klar der OTC-Handel mit rund 70 Prozent Anteil. Gibt es da weitere Verschiebungen?
Die Aufteilung von 70 zu 30 Prozent ist in den vergangenen Jahren stabil. Aber der OTC-Handel wurde mehr und mehr standardisiert. Anfragen der Kunden werden heute automatisiert beantwortet und entsprechend Preise gestellt. Da sind wir als Händler physisch nicht mehr so stark involviert. So können die Systeme auch kleinere Orders leicht abwickeln. Diese Standardisierung macht den Börsen schon zu schaffen.
Sie sind ja auch Designated Sponsor für rund 1.100 ETFs an der Deutschen Börse. Ist der Börsenhandel nur noch für die Retail-Kunden?
Nein, der Börsenhandel hat weiterhin seine Berechtigung. Wir handeln sehr gerne auch an der Börse. Sie hat einfach eine größere Visibilität und ist für den Produktanbieter wie ein Schaufenster. Die Prozesse sind für die angeschlossenen Banken weitgehend standardisiert, so dass sie den Orderflow reibungslos darüber abwickeln können. Das nutzen auch institutionelle Kunden gern.
Die Regulierungen werden seit Jahren verschärft. Nun gilt ja MiFID II. Wie betrifft diese Finanzmarktrichtlinie ihre Arbeit?
Auch wir sind betroffen. Wir sind zwar kein Produktanbieter, für den die meisten Regeln gelten, aber für uns gibt es deutlich erhöhte Anforderungen beim Reporting. Jetzt muss auch jeder OTC-Handel reportet werden. Aber darauf haben wir uns längst eingestellt, sodass MiFID II für uns kaum Mehrarbeit bringt. Ich sehe auch klare Vorteile. Weil inzwischen alle Daten, Börsen- und OTC-Handel, verfügbar sind, könnte man in Europa endlich auch konsolidierte Handelszahlen veröffentlichen. Die gibt es in den USA schon lange. In Europa wurde darüber bisher nur geredet, aber jetzt könnte das verwirklicht werden. Dann können Investoren genau schauen, was an einem Tag mit welchem Produkt europaweit gehandelt wird.
Amerikanische Fondsgesellschaften drängen auf den Europäischen ETF-Markt, teilweise mit aggressiver Preisgestaltung. Wie wirkt sich das aus?
Für uns als Market Maker sind das erst einmal neue Partner, also willkommen. Zudem zeigen die Amerikaner, dass sie dem europäischen Markt noch immer starkes Wachstums- potenzial zutrauen. Das macht Mut. Gewiss, der Preiskampf wird noch mal verschärft. Aber damit wird es für Investoren, die sich bei ETFs bisher noch zurückgehalten haben, immer interessanter in den Markt einzusteigen.
Sehen Sie dann Zeichen einer Konsolidierung auf dem ETF-Markt? Bisher wachsen die Assets under Management, die AuM, ja mit Raten von 20 Prozent und mehr pro Jahr.
Wenn der Markt kräftig fällt, wirkt sich das natürlich auch auf die AuM aus, weil die Kurse in die Berechnung eingehen. Aber die Flows sprechen weiterhin für Wachstum. Wir reden schon seit Jahren immer wieder über eine Konsolidierung. Die findet ja auch in einem Wachstumsmarkt statt. Der eine oder andere Anbieter ist verschwunden, hat aufgegeben oder wurde übernommen. Es fragt sich, ob alle bei dem heftigen Preiskampf mithalten können. Das ist letztlich auch eine Frage der Größe. Aber zurzeit stehen die Zeichen in Europa klar auf weiteres Wachstum.