Seit der Finanzkrise haben die ETFs einen rasanten Aufschwung erlebt. Michael Winker analysiert die Entwicklungstrends und blickt in die Zukunft. Er ist Direktor Portfolio Management und Head of ETF Investments der FERI Trust GmbH, die zusammen mit MLP Vermögenswerte von annähernd 33 Milliarden Euro verwaltet.
Die Finanzkrise vor fast zehn Jahren brachte für die ETFs den Durchbruch, besonders bei den Profis. Wie erklären Sie sich das?
Ich sehe den Grund dafür vor allem in einem erhöhten Bedürfnis nach Sicherheit und Berechenbarkeit. Während viele herkömmliche Fonds damals für einige Tage praktisch nicht handelbar waren, konnte man ETFs immer verkaufen, wenn auch zu erhöhten Spreads. Zum anderen reifte die Erkenntnis, dass man mit ETFs das bekommt, was draufsteht: die Abbildung eines Index, der sich genau wie der zugrundeliegende Markt entwickelt. Viele herkömmliche Fonds wiesen überraschend hohe Risiken auf und liefen deutlich schlechter als der Markt. Dieses Managerrisiko wollten professionelle Investoren nach der Finanzkrise lieber vermeiden, vor allem bei Standardprodukten.
Hat dieses erhöhte Sicherheitsbedürfnis auch die Abbildungsmethoden beeinflusst? Kurz vor der Finanzkrise kam ja die Deutsche Bank mit ihrem ETF-Relaunch und synthetischen Fonds, während die Deka, damals unter dem Namen ETFlab, bei ihrem Markteintritt physische Replikation als vorteilhaft und sicherer propagierte. Darüber wurde ja jahrelang gestritten.
Dieser Sicherheitsgedanke hat die Kundenentscheidung beeinflusst. Heute hat sich die physische Replikation klar durchgesetzt. Wir diskutieren häufig mit privaten und institutionellen Kunden, die von vornherein die physische Replikation bevorzugen. Ich bin bekanntermaßen gegenüber der Replikationsmethode neutral eingestellt. Die synthetische Replikation mit allen Besicherungsmechanismen ist aus meiner Sicht kein größeres Risiko. Aber der Kunde entscheidet häufig anders. Früher mag die synthetische Replikation Performancevorteile geboten haben, inzwischen hat das physische Management an Effizienz gewonnen. So ist zum Beispiel der Deka-DAX-ETF in seiner Performance einer der besten Fonds seiner Kategorie.
Lassen Sie uns weitere Entwicklungsstränge unter die Lupe nehmen. Wie sehen Sie das Produktangebot?
Das Produktangebot hat sich enorm ausgeweitet, es werden immer mehr Nischenmärkte einbezogen, zum Beispiel Länder, an die man früher nicht mal gedacht hat. Der Bereich der Renten-ETFs hat sich außerordentlich verändert. Hinzu gekommen sind Smart-Beta- Konzepte, jetzt meist unter dem Begriff „Faktorinvestment“ bekannt. Für uns als Multi-Asset-Manager war das alles sehr vorteilhaft. Der ETF-Baukasten ist inzwischen bestens gefüllt, um gut diversifizierte Portfolios zu allokieren.
Und alles zu tendenziell niedrigeren Preisen. Das muss Ihnen doch auch gut gefallen haben?
Dafür ist der massive Wettbewerb verantwortlich, der gerade jetzt durch neue Konkurrenten aus den USA nochmals einen Schub erhält. Das hat die Preise reduziert, nicht nur bei den Managementgebühren, sondern auch im Handel bei den Kommissionen und Spreads. Standardaktien- und Rentenindizes kosten nur noch einstellige Basispunkte, Faktorinvestments gibt es schon ab 15 Basispunkten. Das hilft, denn Kosten, die wir nicht haben, müssen nicht verdient werden und steigern die Rendite für den Kunden.
Als das Faktorinvestment aufkam, haben wir Anfang 2016 darüber gesprochen. Wie lautet Ihre Bilanz nach zwei Jahren, vor allem eingedenk der Tatsache, dass nicht jeder Faktor zu jeder Zeit eine Prämie generiert.
Wir wissen, dass ein Faktor langfristig eine Outperformance erzielt, aber auch dass es Phasen von zwei bis drei Jahren geben kann, in denen ein Faktor nicht funktioniert. Zum Beispiel ist „Value“ als Faktor über mehrere Jahre hinweg nicht so gut gelaufen, aber 2017 wieder etwas gekommen. Wir versuchen uns deshalb ein wenig vom Timing frei zu machen und bauen vermehrt Multifaktor-Portfolios auf, die entweder gleich oder durch einen Risikoparitätsansatz gewichtet werden. Es ist dann schon so, dass wir den einen oder anderen Faktor mal diskretionär übergewichten, aber insgesamt setzen wir auf ausgewogenes Multifaktor-Investment. Damit sind wir in der Vergangenheit gut gefahren.
Die Märkte sind ja extrem gut in diesen Jahren seit der Finanzkrise gelaufen. Wird Ihnen nicht allmählich mulmig? Wie sind Sie zurzeit aufgestellt?
Das kommt im Einzelnen natürlich immer auf das individuelle Kundenportfolio an. Aber wir haben ein Referenzportfolio, das unsere Hausmeinung widerspiegelt. Darin sind wir auf der Aktienseite marginal übergewichtet. Wir sind noch optimistisch für dieses Jahr eingestellt, aber wir beobachten, dass die Warnsignale zunehmen und manche Sektoren heiß laufen. Auf der Rentenseite sind wir seit längerem deutlich untergewichtet, vor allem bei europäischen Staatsanleihen. Wir haben noch Restpositionen bei Unternehmensanleihen und im High-Yield-Segment. Die Rentenuntergewichtung hat vor allem die Kasse erhöht. Wir sind auch in breite Rohstoffindizes investiert, allerdings neutral. Lediglich Gold haben wir übergewichtet, sozusagen als erster Krisenschutz, falls es doch noch mal zu einer Krise kommt.
Was halten Sie von Dividenden-ETFs? Die sind im vergangen Jahr nicht mehr so gut gelaufen.
Nach meiner Meinung ist es fahrlässig, auf Dividenden zu verzichten, vor allem angesichts der niedrigen Zinsen. Auch wenn die Kurse solcher ETFs nicht so rasant gestiegen sind, ist es weiterhin ratsam, einen guten Teil Dividendeninvestments im Portfolio zu haben.
Die Rekorde der ETFs, ihre immer stärkere Nutzung bei den Anlegern, führen zu Befürchtungen, dass die ETFs die nächste Krise auslösen könnten. Macht Ihnen das Sorgen?
Das würde ich nicht überbewerten. Es kommt immer auf das Underlying an. Wenn wieder eine Krise kommt, wird wie üblich alles verkauft, ob das nun Einzelaktien oder aktive Fonds oder Futures sind. Da reihen sich jetzt die ETFs nach meiner Ansicht nur ein. Die ETFs sind sicherlich kein Krisenauslöser. Zwar mag die Dynamik für das Underlying zunehmen, wenn ein großer ETF massiv verkauft, aber das kennen wir auch schon aus anderen Krisen vorher. Da waren es manchmal herkömmliche Fonds oder Futures. Außerdem ist der Anteil der ETFs an den Gesamtinvestments vor allem hier in Europa noch sehr überschaubar.
Wie sehen Sie den weiteren Wettbewerb? Es drängen ja, wie erwähnt, amerikanische Schwergewichte auf den europäischen Markt.
Na klar, zum Beispiel will Vanguard mit günstigen Preisen in den Markt drängen. Aber das wird nach meiner Einschätzung nicht zu einer neuen Preisspirale nach unten führen. Der Spielraum dürfte ausgereizt sein. Spannender ist die Frage, ob jetzt eine massive Konsolidierung einsetzt. Invesco hat Source gekauft, WisdomTree den größten Teil von ETF Securities, und das ETF-Geschäft zweier deutscher Marktteilnehmer könnte auf den Markt kommen bzw. geht an die Börse.
Ist das für die Kunden, also Sie, von Nachteil?
Längerfristig könnte es schon dazu führen, dass so manche Doppelung bei den Angeboten vom Markt genommen wird. Aber die Auswahl ist inzwischen so groß, dass ich keine Nachteile durch eine Konsolidierung befürchte. Im Gegenteil: Das ETF-Geschäft insgesamt wird weiterhin kräftig wachsen. Davon bin ich fest überzeugt.
Marktkommentar: US-Märkte heiß gelaufen?
Insgesamt sind die Einschätzungen für 2018 recht positiv. Markus Kaiser, Manager mehrerer ETF-Dachfonds, sieht noch keine unmittelbare Gefahr von Trendbrüchen, rät aber dazu die heiß gelaufenen US-Märkte etwas geringer zu gewichten. Seine Favoriten sind Europa und die Schwellenländer. In der Tat hat Europa gegenüber den USA einen klaren Nachholbedarf. Wird das für ein weiteres Superjahr reichen?
– Ein Dachfonds-Manager